Mit “Grau Im Licht” haben Diary Of Dreams ein neues Album am Start, auf dem sie sich so präsentieren, wie ihre Fans sie kennen und lieben: Düster, geheimnisvoll und episch. Auch wenn man die Handschrift von Mastermind Adrian Hates zweifelsfrei erkennen kann, hat er sich einmal mehr neu erfunden. Wie kann man nach über 25 Jahren Bandgeschichte so kreativ bleiben, werdet ihr euch fragen. Uns hat Adrian Hates sein Geheimrezept verraten, als wir ihn am 12.11.2015 vor seinem Konzert im Münchner Backstage zum Gespräch baten. Und auch über die Hintergründe zum neuen Album, über unvergessliche Momente aus seinem Tourleben und einige andere Dinge hat der sympathische Frontmann mit uns gesprochen – viel Spaß beim Lesen!

NecroWeb: Hallo Adrian! Gestern war der Auftakt eurer “Grau Im Licht”-Tour in Nürnberg. Wie war’s?

Adrian Hates: Es war etwas chaotisch, so wie jeder Tourauftakt. Wir konnten gut 70 Prozent unseres Equipments nicht aufbauen, weil die Bühne so klein war. Die Bühne hier in München ist etwa vier Mal so groß. Das war schon eine Herausforderung. Aber ansonsten war es sehr schön.

 

NecroWeb: Wie empfindest du ein Konzert nach einer längeren Pause – bist du nach all den Jahren trotzdem noch aufgeregt, bevor du auf die Bühne gehst?

Adrian Hates: Längere Pausen haben wir eigentlich nicht, da wir fast konstant auf Tour sind. Irgendwo spielt man immer und wir kommen aus dem Rhythmus nicht wirklich raus. Unsere längsten Pausen dauern etwa drei Monate. Wenn man aber ein neues Album im Gepäck hat, und damit ein ganz neues, auf dieses Album abgestimmte Set und viele neue Versionen von älteren Songs, dann fühlt sich das schon frisch an und dadurch bin ich dann schon auch aufgeregt. Ein kleiner Nervenkitzel vor dem Konzert gehört aber immer dazu, ich finde das schön. Wenn man den nicht mehr hat, wird man glaube ich langweilig und ist nicht mehr so richtig bei der Sache.

 

NecroWeb: Wird die Tour nach den elf Deutschlandkonzerten jetzt im November später noch ausgebaut?

Adrian Hates: Ja, es kommt das ganze nächste Jahr über noch Einiges. Wir sind in Russland unterwegs, in Spanien, Belgien und vielen anderen Ländern.

 

NecroWeb: Nach all deinen Konzerterfahrungen in den verschiedensten Ländern – findest du, dass sich die Leute von Land zu Land unterscheiden?

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Adrian stand mit seiner Band Diary Of Dreams bereits in den verschiedensten Ländern auf der Bühne und hat dabei sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht.

Adrian Hates: Ja, natürlich. Ich versuche aber, das nicht zu bewerten. Es sind einfach unterschiedliche Mentalitäten und deshalb verhalten sich die Leute auch ganz anders. Hinzu kommt in vielen Ländern, dass der Musikmarkt noch nicht so weit geöffnet ist, also nicht viele Bands aus anderen Ländern kommen. Dann ist der Hunger noch viel größer. Das haben wir auch damals sehr deutlich nach der Grenzöffnung in Deutschland gemerkt. Als wir im Osten Konzerte gegeben haben, wurden wir abgefeiert wie Weltstars. Und das gibt’s heute noch in Russland, Südamerika, Südafrika oder im Libanon.
Ganz krass war es mal in Santiago De Chile, wo wir Headliner auf einem Festival waren. Es waren 30.000 Leute da und wir allein hatten 12 Securitys. Und als wir unser erstes Konzert in Moskau gespielt haben, wollten wir danach raus, um Autogramme zu geben. Da hatten die Männer von der Security Panik in den Augen und meinten, das könnten sie nicht zulassen. Aber wir haben darauf bestanden, also mussten wir uns an eine Wand stellen und die Securitys haben eine Menschenkette von sechs oder sieben Mann um uns gebildet. Als dann die  Leute gesehen haben, dass wir draußen sind, kamen hunderte von Menschen auf einmal angerannt. Zwischen meinem Gesicht und denen der Fans war ein halber Meter. Das war ganz schön krass, aber auch cool. Ich fühle mich in solchen Momenten gar nicht so wohl in meiner Haut, aber es prägt einen. Solche Geschichten nimmt man mit ins Grab.

 

NecroWeb: Euer neues Album heißt “Grau Im Licht“. Woher kommt denn dieser Titel – bezieht er sich auf den gleichnamigen Song?

Adrian Hates: Ich hatte sehr viele Albumtitel und habe lange mit mir gehadert, weil ich mir nicht sicher war, welche Farbe ich dem Album geben wollte. Aber “Grau Im Licht” hat einfach wunderbar gepasst – gar nicht unbedingt vom inhaltlichen Kontext des Songs her. Ich finde einfach, dass die Welt und die Menschheit sehr grau geworden sind und dass man sehr traurig in die Welt blicken muss. Es gibt wahnsinnig viel Schönheit, an die ich mich in solchen Momenten auch klammere, weil ich mir dieses Weltbild nicht komplett verderben lassen möchte. Aber auf der anderen Seite muss man sich auch im Klaren darüber sein, dass man entweder viele Extreme hat, oder einen seltsamen, nicht identifizierbaren, grauen, menschlichen Schleier. Ich würde mir manchmal wünschen, dass man mehr Farbe bekennt, mehr Mitgefühl zeigt und mehr als Kollektiv denkt und nicht immer dieses Konkurrenzdenken an den Tag legt und sich gegenseitig schadet. Jeder kämpf krampfhaft um jeden Quadratmeter seines eigenen Lebens und will um Gotten Willen ja nichts abgeben, damit es anderen besser geht.
Die Welt des Kapitalismus ist in meinen Augen gescheitert. Ich glaube nur, dass es noch sehr lange dauern wird, bis das so angekommen ist. Die größten Kriege dieser Welt hatten immer Gier als Ursprung. Das ist vollkommen unnötig. Der Gedanke zu Teilen ist in allen Religionen tief verankert, und ausgerechnet die Religionen sind nicht bereit zu teilen.

 

NecroWeb: Würdest du das Album als sozialkritisch bezeichnen?

Adrian Hates: Ich bin im Allgemeinen sehr sozialkritisch. Aber das Album hat nicht den Aufhänger, sozialkritisch zu sein, sondern möchte sensibilisieren. Man soll erkennen, dass ein Missstand herrscht und dass dieser zu beseitigen ist. Das ist kein Problem. Dafür braucht man nur die Bereitschaft der Individuen. Dann ist auch ganz schnell die Masse von Schwachsinn, dummen Weltanschauungen und Ängsten befreit. Ich kann nicht verstehen, dass wir immer noch über Rechtsradikalismus reden müssen. Das macht mich persönlich traurig. Teilweise kann ich die Nachrichten nicht sehen, weil es mich runterzieht.

 

Adrian Hates möchte mit den Songs seines neuen Albums “Grau Im Licht” das Bewusstsein für die herrschenden Missstände auf der Welt wecken. Dabei drückt er sich bewusst metaphorisch aus, damit jeder Hörer die Stücke auf seine eigene Weise interpretieren kann.

Adrian Hates möchte mit den Songs seines neuen Albums “Grau Im Licht” das Bewusstsein für die herrschenden Missstände auf der Welt wecken. Dabei drückt er sich bewusst metaphorisch aus, damit jeder Hörer die Stücke auf seine eigene Weise interpretieren kann.

NecroWeb: Dennoch empfinden viele Leute deine Texte als verschlüsselt und geheimnisvoll. Ist das beabsichtigt und was möchtest du damit erreichen?

Adrian Hates: Ja, das ist beabsichtigt. Ich verschmelze immer viele Sachen. In jedem Text ist etwas Autobiografisches drin, Dinge aus meinem kleinen Mikrokosmos. Andere Sachen denke ich mir komplett aus, die repräsentieren einfach Gemütslagen von mir. Das vermische ich alles. Jeder, der für sich in Anspruch nimmt zu sagen, dass ich in einem Stück etwas ganz Bestimmtes gemeint hab oder worum es geht, liegt falsch. Das wird keiner können. So oft höre ich “Das ist ein Liebeslied, da geht’s um seine Exfreundin!” oder wie auch immer. Das ist definitiv falsch. Liebeslieder gibt es bei mir ohnehin extrem selten. Ich kann mich gerade nur an eins erinnern.
Ich verpacke die Dinge betont metaphorisch verschleiert, damit der Hörer sich selbst in den Worten suchen und seine eigene Erfahrung, seinen Hintergrund, seine Geschichte mit meinen Worten verschmelzen lassen kann. Ich fand das als Leser immer am interessantesten. Ich habe es in der Schule gehasst, wenn mir Lehrer sagten, was die richtige Interpretation eines Textes ist. Vor allem bei Shakespeare hat mich das aufgeregt. Ich hab immer gefragt, ob sie das schriftlichen vom Autor haben oder mit ihm gesprochen haben. Denn nur dann kann ich das als Gegeben hinnehmen. Wenn es nicht belegt ist, will ich sagen können, dass das meine eigene Interpretation ist.

 

NecroWeb: Wie läuft der Schaffensprozess deiner Musik ab? Gibt es eine Reihenfolge, zum Beispiel erst Musik, dann Texte?

Adrian Hates: Kreative Arbeit muss kreativ sein – wie der Name ja schon sagt. Kreativ ist sie für mich aber nur dann, wenn sie nicht kontrolliert und regulär ist. Aus meiner persönlichen Perspektive finde ich es schlimm, wenn ich höre, dass der Sänger die Texte schreibt, der Keyboarder die Keyboard-Sachen und der Gitarrist seine Gitarrenparts und dann alles zu einem Song zusammengeschmolzen wird. Oder wenn der Multiinstrumentalist immer mit der Klavierlinie oder dem Text anfängt. Mich würde das so dermaßen zu Tode langweilen, dass ich aufhören würde, Musik zu machen. Dann kann ich auch in ein Büro gehen und siebeneinhalb Stunden am Tag denselben Ablauf haben. Das ist dann auch schon egal.
Ich liebe an der Musik die Freiheit, an die Dinge ranzugehen, wie es mir in dem Moment passt. Wenn ich zum Beispiel gerade eine Rhythmik im Kopf habe, dann setze ich mich hin, programmiere eine Rhythmik und nehme sie als Ursprung. Oder ein Sprachsample, das ich von mir selbst mache. Oder einen Satz, ein Wort, eine Stimmung, ein Klavierlauf, ein Gitarrenakkord, eine Dreiertonfolge. Das alles kann reichen, um der Anfang eines Songs zu werden. Dann wird das zum Selbstläufer. Natürlich forciere ich diesen Prozess, aber dennoch lasse ich ihn gehen. Es ist nicht so, dass ich etwas ganz Spezielles im Kopf habe und das dann auch das Ergebnis sein muss. Manchmal wird aus einem Clubtrack eine Ballade und umgekehrt und manchmal wird es auch genau das, was ich mir vorgestellt habe. Ich brauche auf jeden Fall beim Komponieren die Freiheit, das zu tun, wozu ich gerade im Moment Lust habe und nicht das, was Schema F entspricht. Ich glaube, sowas hört man am Ende. Wenn man nach Schema F vorgeht, klingen die Songs am Ende gleicher.

 

NecroWeb: Bleiben bei dir auch mal Entwürfe liegen?

Adrian Hates: Hunderte bis Tausende! “The Colours Of Grey” zum Beispiel hat zwei Alben gebraucht, bis es fertig war. Wir haben einen Song, der jetzt auch schon seit drei Alben mitgeschleppt wird. Ich komme zwar immer wieder ein Stück weiter, aber das geht noch besser. Manches verschwindet auch in der Tonne. Mittelmaß muss ich nicht veröffentlichen. Ich veröffentliche einen Song nur dann, wenn ich 1000 prozentig davon überzeugt bin. Ob ich das nach sechs Monaten immer noch bin, ist wieder eine andere Frage. Aber in dem Moment, wo ich die Entscheidung fälle, muss ich von dem Song überzeugt sein. In meinen Augen braucht die Welt keine “ganz netten” Songs, denn lieblose Musik gibt es genug.

 

NecroWeb: Also gibt es auf Diary Of Dreams Alben keine Lückenfüller?

Adrian Hates: Das würde ich so in Anspruch nehmen. Ich gebe mir sehr viel Mühe und arbeite sehr detailliert. Ich versuche, jedem Song alles zu geben, was ich habe. Das gelingt nicht immer. Aber die Ambition muss immer das Maximum sein. Keine Kompromisse von vornherein. Natürlich ist es dennoch eine Frage der persönlichen Wahrnehmung. Es gibt bestimmt Leute, die sagen, auf jedem Album gibt es zwei tolle Lieder, der Rest ist Mist. Es gibt aber auch andere, die sagen, es sind keine Lückenfüller da. Diese Variante bevorzuge ich natürlich.

Adrian Hates und Gaun:A als com/kill

Adrian Hates und Gaun:A als com/kill

NecroWeb: Zusammen mit dem Bassisten und Gitarristen von Diary Of Dreams, Gaun:A, hast du das Nebenprojekt com/kill. Ist da etwas Neues geplant?

Adrian Hates: Ja! Ich sitze dran und habe die Studiotermine schon gebucht. Ich werde wieder mit Daniel Myer, der bekannt ist von Haujobb, Destroid, Architect und anderen Projekten, arbeiten. Wir machen schon seit 2001 regelmäßig zusammen Musik und im Dezember treffen wir uns zum Soundbasteln. Com/kill hat einen komplett anderen Ansatz als Diary Of Dreams. Es eröffnet mir eine andere Welt. Das wird auf dem zweiten Album natürlich noch extremer sein als auf dem ersten, denn klar – das erste offizielle Nebenprojekt braucht erstmal einen Abnabelungsprozess. Aber der ist jetzt abgeschlossen – jetzt gibt’s auf die Zwölf!

 

NecroWeb: Warst du zufrieden mit den Reaktionen auf das Projekt?

Adrian Hates: Absolut! Klar gibt’s kritische Reaktionen und die Vergleiche mit Diary Of Dreams, aber das ist ganz logisch. Kein Musiker, der nach 25 Jahren Bandgeschichte zum ersten Mal ein offizielles Nebenprojekt macht, wird nicht mit seiner Hauptband verglichen. Und es gibt und gab natürlich auch ein paar Parallelen, ist ja ganz klar. Aber das finde ich weder schlimm noch eine Schande. Man wird jetzt auf jeden Fall sehen, dass wir noch einen Sprung weiter sein werden. Das wird spannend.

 

NecroWeb: In eurer über 25-jährigen Bandgeschichte habt ihr einige große Entwicklungen miterlebt. Welche davon haben das Musikerdasein besonders verändert und inwiefern?

Adrian Hates: Am auffälligsten ist natürlich die technische Entwicklung. Meinen ersten Newsletter habe ich mit dem Faxgerät verschickt und aufgenommen habe ich zum ersten Mal auf einer Tonbandmaschine. Diese war so schwer, dass wir sie mit vier Leuten tragen mussten. Es gab de facto kein Internet. Das sind Sachen, die man sich heute nicht mehr vorstellen kann.
Natürlich hatte man damals viel bessere Verkaufszahlen und konnte seine Produktion besser planen. Dass das nun viel schwieriger ist, ist ein trauriger Nebeneffekt, den das heutige Zeitalter mit sich bringt. Mit jedem Album und mit jeder Tour muss man heute gewisse Ängste ausstehen, ob man sich das in Zukunft noch leisten kann. Toureen konnten früher schlechter laufen, aber man hat durch die CD-Verkäufe ein Vielfaches an Einnahmen gehabt.
Man muss sich nur in seinem eigenen Freundeskreis umhören und fragen, wie viele CDs die Leute in den letzten 12 Monaten gekauft haben. Bei den meisten Leuten wird da eine dicke Null stehen. Auch die Downloads lassen nach. Es geht jetzt immer weiter in Richtung Streaming und das ist natürlich noch weniger Geld. Von einem Streaming-Dienst bekommt man als Musiker nur Centbeträge. Irgendwann kommt dann die Sinnfrage. Man sagt sich klar, ich mach das aus Passion – aber trotzdem hab ich Hunger!
Die positive Seite ist, dass die Produktion viel billiger geworden ist. Ich kann mit einem kleinen Rechner wahnsinnige Soundwände kreieren. Alles ist sehr praktisch und schnell in verschiedenen Studiosituationen und man braucht nur noch eine Tasche mit ein paar Sachen. Das, was man im Kopf hört, kann man viel schneller und effektiver in die Realität umsetzen. Das ist natürlich toll.
Das Internetzeitalter ist außerdem dafür verantwortlich, dass man seine Arbeitszeit ganz anders verlagert. Ich verbringe sehr viel Zeit im Internet, um viral zu arbeiten auf Plattformen wie Facebook, Twitter oder Instagram. Das war früher Zeit, die ich im Studio verbracht hab.
In der Band muss man sich viel mehr aufteilen und entscheiden, wer welche Aufgaben übernimmt. Das Team wird immer größer.

 

NecroWeb: Wo siehst du dich in Zukunft – als Musiker, aber auch als Erdenbewohner?

Adrian Hates: Weiter kritisch, desillusioniert. Trotzdem weiter konstruktiv und ein bisschen hoffnungsvoll und kämpferisch. Ich hoffe, dass ich mit meiner Musik und mit Gedankenanstößen einen marginalen Beitrag leisten kann. Außerdem hoffe ich, dass unsere Fans der Band noch ein langes Leben bescheren. Das sind meine Wünsche und Ansprüche.

 

NecroWeb: Das wünschen wir euch auch und bedanken uns ganz herzlich für die ausführlichen Antworten!

DIARY OF DREAMS – Das offizielle Video zu “Ikarus” aus dem Album “Grau Im Licht”

Coverbild Copyright : Silke Jochum
Weitere Bilder Copyright : Adrian Hates Pressefoto, com/kill: Silke Jochum. Adrian Hates live: Fauna Flokati

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