“Abwärts” ist ein deutscher Thriller, der 1984 in den Kinos lief und sehr erfolgreich war. Das Drehbuch und die Romanversion stammen von Frank Göhre. Nun, über 30 Jahre später, haben die Lindenblatt Records im Jahr 2015 ein Hörspiel aus diesem Film- und Buchklassiker gemacht. Regie führte Stefan Lindner, und herausgekommen ist ein Stück auf drei CDs mit 3,5 Stunden Spiellänge – und das ist ja schon allerhand. Gleich zu Beginn kann ich sagen, dass ich das Ding am Stück angehört habe – langweilig ist es also keinesfalls, und es gibt keine einzige Stelle, an der man sagen möchte “Okay es reicht, ich höre später weiter”. Trotzdem war mein Hörerlebnis nicht immer positiv – was nicht heißt, dass die Geschichte oder das Hörbuch schlecht sind. Aber ich fange einfach mal an – dann werdet ihr schon sehen, was ich meine.

Innere und äußere Konflikte
Die äußere Handlung von “Abwärts” ist schnell erzählt: Am Freitagabend machen sich vier Leute, die in einem großen Bürogebäude mit unzähligen Etagen arbeiten oder zu tun haben, viel zu spät auf den Weg nach Hause und steigen alle in denselben Aufzug. Doch dieser bleibt plötzlich stehen. Kontakt zum Pförtner können sie nicht herstellen. Obwohl die vier Hauptcharaktere die ganze Zeit nur im Fahrstuhl stecken, passiert in “Abwärts” ganz schön viel, und das in zweierlei Hinsicht.

Zunächst einmal bleiben die vier Personen nicht einfach ruhig, wie man es von vier erwachsenen Menschen erwarten würde, sondern flippen völlig aus. Sie machen den Fahrstuhl nicht nur kaputt, sondern kriegen sich auch mächtig in die Haare, bis hin zur physischen Gewalt.

Außerdem passiert aber auch in den Köpfen der Gefangenen jede Menge. Ihnen allen gehen zahlreiche wirre Gedanken durch den Kopf, an ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart und ihre Träume von der Zukunft. Das finde ich durchaus interessant gemacht, aber viel Interessantes wird hier angerissen, jedoch nicht zu Ende geführt. Die Figuren stellen sich wichtige Fragen und deuten bedeutsame Dinge an, aber wir erfahren oft einfach nicht mehr, und das ist schade. Denn so bleiben die Figuren trotz der versuchten Tiefgründigkeit oberflächlich.

Unsympathische Charaktere
Vermutlich ist das auch mit ein Grund dafür, dass mit alle Charaktere unsympathisch sind. Sowohl die vier Hauptcharaktere, als auch alle Nebencharaktere. Möglicherweise ist das aber Absicht, denn repräsentiert wird hier eine wichtigtuerische, oberflächliche, verlogene Leistungsgesellschaft.

Im Fahrstuhl stecken die Werbefutzis  Jörg und Marion, der Buchhalter Gössmann sowie der Kurier Pit.
Jörg nervt mich mit seiner Arroganz und mit seinem Hass auf seine Frau und seine jugendlichen Töchter, für die er arbeiten “muss”. Gleichzeitig profiliert er sich damit, wie viel und gut er arbeitet, weil es anscheinend sonst nichts gibt, wodurch er sich auszeichnet.
Marion ist seine Assistentin. Eine karrieregeile Singlefrau, vermutlich so Anfang 30, die mit ihrem viel älteren Chef Jörg natürlich auch schon im Bett war und nun seine Stelle übernehmen möchte.
Gössmann ist ein alter, verschüchterter Buchhalter, der mit seinem Selbstmitleid nervt. Sein Chef schikaniert ihn, dauernd muss er Überstunden machen, sitzt im hinterletzten Eck des Büros und leidet so schrecklich.
Pit ist der obligatorische Assi. Er ist Mitte 20, schlägt sich mit kleinen Jobs durch, um sich Bier und Zigaretten leisten zu können, hat Träume, aber wenig Perspektiven und ist wortkarg.
Auch unter den Nebencharakteren gibt es irgendwie nur Unsympathen, wie etwa den faulen Pförtner, den perversen Roski (Gössmanns Chef), den patzigen Installateur (der entweder Otto oder Heinz heißt) und die mit unfairen Mitteln spielende Hure Tina.

Metaphorische Gesellschaftskritik
Was mir sehr gut gefällt, ist, wie hier die Gesellschaft, in welcher die Handlung spielt, kritisiert wird. Die Geschichte ereignet sich in einem engen Fahrstuhl – ein sehr deutliches Bild für die Gefangenschaft der vier Protagonisten in den Zwängen der modernen Leistungsgesellschaft.

Auch das ganze Bürogebäude wirkt wie eine eindrucksvolle Metapher: Man hat ein Bild vor Augen von einem riesengroßen, unübersichtlichen, kargen, kühlen, grauen Haus, aus dem man sofort schnellstmöglich flüchten will – Anonymität, Gefühllosigkeit und das bloße Funktionieren der kritisierten Gesellschaft sprechen hieraus und hinterlassen ein richtig beklemmendes Gefühl.

Als Pit beinahe in die Tiefe des Aufzugschachtes stürzt und sich mit ganzer Kraft wieder nach oben zieht, wirkt dieses Bild geradezu surreal – er stürzt mitten in einem gewaltigen Bürokomplex beinahe in einen Aufzugsschacht? Aber wenn man sich ein bisschen Gedanken über die Intention macht, wird einem etwas Tragisches bewusst: Pit ist das Individuum, das vollkommen verloren ist in dieser gefühllosen Welt und um sein nacktes Überleben kämpft, während niemand von ihm Notiz nimmt.

Ein Ende mit Schrecken…oder wie jetzt?
Ganz ehrlich: Ich bin mir nicht ganz sicher, was am Ende von “Abwärts” passiert, und warum es passiert, und das liegt nicht daran, dass ich nicht aufgepasst habe. Es wird zum Ende hin einfach sehr wirr und irgendwie auch etwas absurd – beziehungsweise noch absurder als schon an vielen anderen Stellen. Der letzte Gedanke vor dem Abspann ist also leider lediglich: “Hä? Wie jetzt? Und warum?”

Nebenhandlungen okay – aber doch nicht ohne Bezug zur Haupthandlung!
Was ich ziemlich überflüssig finde, sind in “Abwärts” die Nebenhandlungen, vor allem die Episode mit Roski und seinen perversen Sexfantasien, die er an der Prostituierten Nina auslässt. Für die Haupthandlung ist das vollkommen unerheblich und folgenlos und bleibt einfach so stehen. Die ganze Zeit hab ich mich gefragt, wie dieser Nebenstrang in die Haupthandlung eingebunden wird und war auch recht gespannt darauf  – aber das passiert einfach nicht! Eine Verbindung gibt es schon, aber die ist vollkommen unnötig. Geht’s hier einfach nur um “sex sells”, oder was?
Auch der Masseur, der ganz am Anfang auftritt, wird vorgestellt und dann einfach vergessen. Wozu brauchen wir den dann überhaupt?

“Abwärts” ist absurd – ein Spiegel der Gesellschaft?
Alles in allem also gefällt mir “Abwärts” inhaltlich eigentlich nicht. Ich finde das Hörspiel verwirrend, absurd und oberflächlich – aber Moment mal. Diese Eigenschaften lassen sich Eins zu Eins auf unsere beziehungsweise die dargestellte Gesellschaft (die eine etwas, aber gar nicht mal allzu sehr überspitzte Version der Unseren ist) übertragen! So gesehen könnte ich mir vorstellen, dass der Autor es beabsichtigt hat, dass man die Leute unsympathisch und ihr Verhalten bescheuert findet. Dass man ihren Gedanken nicht ganz folgen kann und vieles über sie nicht erfährt, weil sie schon so abgestumpft und oberflächlich geworden sind, dass sie selbst nicht mehr wissen, warum ihr Leben jetzt ist wie es ist.

So haben wir letztendlich also ein beklemmendes Hörspiel mit Charakteren, über die man sich andauernd ärgern muss. Keine angenehme Unterhaltung, aber in gesellschaftskritischer Hinsicht wirklich gelungen.

Audioerlebnis: Sprecher, Musik und Soundeffekte
Die Sprecher leisten gute Arbeit – keine Frage. Denn ihre Stimmen unterstreichen den unsympathischen Eindruck, den die Charaktere hinterlassen. Ralf Richter als Jörg ist laut, forsch und arrogant. Stephanie Marin als Marion klingt einfach…wie ein Marketing-Blondchen Anfang 30 halt! Besser kann man das nicht beschreiben. Große Klasse ist auch Tonio von der Meden als Gössmann mit seiner leisen, piepsigen Stimme. Der Sprecher klingt, als müsste er sich jedes Mal dazu überwinden, den Mund aufzumachen, und genauso scheint es Gössmann ja zu gehen.
Der Erzähler Marc Schülert hat eine angenehme, unaufregende Stimme, die man sich nicht einprägt. Das ist auch gut so, denn man muss sich ja genug andere Stimmen merken und zu unterscheiden lernen.

Untermalt wird das Hörspiel auch von minimalistischen elektronischen Musikstücken aus der Feder von Stephan Gossen, Jan Pankau und Heiner Jaspers, von denen besonders “Overload” sehr düster, atmosphärisch und beklemmend klingt. (Übrigens ist der Soundtrack als MP3-Datenpaket mit auf dem Hörspiel – das finde ich klasse!)

Und auch Soundeffekte wie eben all jene, die beim Aufzugfahren, beim Kaputtmachen eines Aufzugs und beim sich Prügeln entstehen, wurden in diesem Hörspiel sorgfältig eingebaut. An manchen Stellen fand ich sie aber etwas zu gestellt, gerade bei den Kampfszenen.

Alles in allem waren das zwar nicht gerade die angenehmsten 3,5 Stunden meines Lebens, die ich mit dem Hörspiel “Abwärts” verbracht hab. Aber ich weiß die gesellschaftskritische Intention dahinter zu schätzen und deswegen muss man halt einfach dennoch sagen, dass es gut ist. Man muss halt akzeptieren, dass einem die vier Hauptcharaktere nie ans Herz wachsen werden und man sich nach dem Konsum von “Abwärts” erstmal seltsam schlecht fühlt.

ABWÄRTS Hörprobe – Marions Flashback

Verlag: Lindenblatt Records
Autor: Frank Göhre
Veröffentlichtungsjahr: 2015
Webseite: http://www.lindenblatt-records.de/
Copyright Artikelbild: Lindenblatt Records

  • 90%
    Intensität - 90%
  • 60%
    Handlung - 60%
  • 70%
    Innovation - 70%
  • 90%
    Audioerlebnis - 90%
  • 50%
    Charaktere - 50%
72%

Kurzfassung

Ein beklemmendes und unangenehmes Hörspiel voller Gesellschaftskritik

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