Ich habe im Folgenden die Ehre, einen weiteren Topcomic vorzustellen, im vorliegenden Fall auch noch einen wahren Geheimtipp, denn im Gegensatz zum Entstehungsland USA, ist die Comicreihe “Fables” hierzulande nur den Wenigsten ein Begriff. Und dabei besticht “Fables” vor Allem durch kluge Storykonzeption und absolut geniale Charaktere. Jedoch sind die Charaktere, nun ja, sagen wir mal “entlehnt”. 🙂
Wieder einmal haben wir ein Werk dem berühmten Brüderpaar Grimm zu verdanken, die uns den reichlichen Märchenschatz auf Papier konservierten, denn ansonsten wäre davon wohl ein Großteil verloren gegangen. Die weltbekannten Märchenfiguren werden bei “Fables” vereint und ins New York unserer Zeit geworfen und aus dieser merkwürdigen Grundkonzeption entstand einer der besten Comics überhaupt:
Big Bad Wolf
Protagonist der “Fables” Comics ist tatsächlich der große, böse Wolf aus Märchen wie “Rotkäppchen”, “Die drei kleinen Schweinchen” oder “Der Wolf und die sieben Geißlein”, der in “Fables” das Amt des Sheriffs von Fabletown innehat. Die Wahl, gerade den unbeliebten Wolf zum Hauptcharakter zu machen, wird sich noch als absolutes Meisterstück darstellen, denn dieser ist geradezu dazu prädestiniert, als Antiheld auch unangenehme Aufgaben zu erledigen, für die sich andere zu schade und zu gut sind.
Der große Böse Wolf, in Fabletown als Sheriff Bigby Wolf bekannt, regelt als Exekutive der Stadtregierung alles was nötig ist, um Fabletown und deren Bewohner vor den Menschen der realen Welt zu schützen, denn Fabletown liegt als Stadtteil mitten in New York. Doch wie sich herausstellt, kommt die Gefahr nicht nur von außen, denn Sheriff Bigbys Aufgabe wird auch sein, die Bewohner von Fabletown vor sich selbst zu schützen.
“The Wolf Among Us”
Wie viele andere auch, bin ich erst durch das Videogame “The Wolf Among Us” von Telltale Games auf die Welt von “Fables” gestoßen. Auch in “The Wolf Among Us” ist der Hauptcharakter der Sheriff Bigby Wolf, den wir durch Fabletown lenken, um einen grausamen Mordfall zu lösen. Das Spiel wurde zu Recht mit unzähligen Preisen ausgezeichnet und hat auch in meiner äußerst umfangreichen Spielesammlung einen festen Platz erobert. Der Stil des Spieles fängt den des Comics perfekt ein und lässt uns in diese erwachsene Fantasywelt mit ihrem melancholischen Film-Noire-Stil eintauchen. Erwachsen ist auch genau das nächste Stichwort, denn das Spiel geizt nicht mit Gewalt und schwierigen Entscheidungen, so dass eine Veröffentlichung ab 18 Jahren gewählt wurde.
Ein unmögliches Konzept gelingt
Eigentlich hätte wohl jeder gesagt, dass die Idee, die Figuren aus diversen Märchen in eine seriöse Geschichte in ein modernes New York zu verfrachten, zum Scheitern verurteilt wäre. Umso größer ist die Leistung des Autors Bill Willingham, dieses Konzept zur absoluten Vollendung gebracht zu haben. Gerade in diesem Bereich gibt es unzählige gescheiterte Ableger klassischer Märchen und deren Neuinterpretationen. Die Comicreihe “Grimm Fairy Tales” stellt einen gelungen Vertreter dar, erreicht aber lange nicht die Klasse von “Fables”. “Fables” ist schon jetzt ein Klassiker und gleichzeitig auch die Zukunft moderner Comics, und ich lehne mich garantiert nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich dies behaupte.
Mehrere Punkte der Genialität von “Fables” möchte ich im Folgenden vorstellen:
Jede Figur ist perfekt platziert
Ob es jetzt das kleine Schweinchen (in “Fables” schon ein ausgewachsener Eber, der dort mietfrei als Wiedergutmachung weil er sein Strohhaus weggepustet hat, wohnen darf), das bei Sheriff Bigby Zuhause auf dem Sofa schläft, ist, oder der Froschkönig, der als Hausmeister arbeitet; jede Märchenfigur wurde bei “Fables” geschickt platziert und ihren Fähigkeiten oder dem erzählerischen Potential nach verwendet. Schneewittchen ist die kühle Stadträtin, die versucht, Fabletown krampfhaft zusammenzuhalten, Ritter Blaubart die mysteriöse Graue Eminenz im Hintergrund, Jack der ewige Glückspilz und Prince Charming der vollendete Verführer und Taugenichts. Gerade bei den Märchenfiguren, die schon in diversen schlechten Veröffentlichungen einiges einstecken mussten, ist “Fables” eine schiere Wohltat und ein enormes Meisterwerk an Planung und Ausarbeitung.
Eine Pipeline an Ressourcen
Die Figuren sämtlicher Märchen und auch diverser Fantasygeschichten (z.B. “Der Zauberer von Oz”) und sogar diverser Sagenwelten können in “Fables” auftreten. Einige davon als tragende Hauptdarsteller, Nebenfiguren oder lediglich für einen kurzen Cameo-Auftritt. Das Videospiel “The Wolf Among Us” hat, da dieses als Prolog der Reihe dient, noch andere Möglichkeiten, Charaktere unterzubringen, da es vor der Haupthandlung der Comicreihe spielt. Hier befindet sich auch ein 2. Teil von Telltale Games in Planung, der jedoch erst ab 2016 erwartet wird.
Zwar wurden bei der Vertreibung der Märchenfiguren aus ihren Reichen durch eine Böse Macht (dies ist überhaupt erst der Grund für ihren Aufenthalt in New York) viele Figuren getötet, es ist jedoch nicht geklärt, wer aus diesem gigantischem Pool an Personen und Kreaturen nun nicht mehr zur Verfügung steht. Also hat der Autor Bill Willingham unendlich viele Möglichkeiten, neue Figuren “aus dem Nichts” erscheinen zu lassen und kann die Handlung so verändern wie er will, da er die Welt und ihre Gesetze sehr offen gestaltet hat. Auch steht ihm frei, die Figuren stark abzuändern, wie im Falle des Bösen Wolfes, der in den Märchen als hinterlistiges Monster auftritt und nun in Fabletown als etwas unbeherrschter, autoritärer Sheriff agiert.
Zeichnungen
“Fables” ist ein richtiger Hingucker! Das Ganze beginnt bei den meisterhaft gemalten Covern, die eher abstrakte bis etwas verstörende Kombinationen bekannter Märchenfiguren zeigen. Der eigentliche Comic wird vom Zeichner Lan Medina, die Arbeiten mit Tusche hauptsächlich von Steve Leialoha und die Coloration von Sheryl van Valkenburgh entworfen. Die Figuren werden bei “Fables” sehr präzise gezeichnet und heben sich vom Hintergrund durch klare Abgrenzung in Form einer herausstechenden Tuschetechnik ab. Jede Figur, aus egal welchem Blickwinkel, wird perfekt getroffen und ist zudem unserem Verständnis der originalen Märchenvorlage treu nachempfunden, natürlich mit Änderungen entsprechend der Vorgabe im Comic und einem Lebensstil, inkognito unter den Menschen New Yorks. Stellenweise begibt sich “Fables” in einen Film-Noire-Stil, der vor allem durch den meisterhaften Tusche-Einsatz gefördert wird. Die Coloration wirkt zunächst etwas einfach gehalten, im gesamten Kontext erfüllt sie aber ihre Aufgabe ganz wunderbar.
Comicpräsentation
Der Comic “Fables Band 1: Legenden im Exil” umfasst die im amerikanischen Original veröffentlichten Einzelbände “Fables” 1 – 5. Obwohl der Comic durch eine hohe Druck- und Papierqualität und dem Großformat durchaus gut präsentiert wird, hätte man hier noch mehr Liebe reinstecken können. Ein Comic dieser extrem hohen Qualität hätte definitiv auch ein Hardcover verdient, auch Sonderseiten mit Hintergrundinfos zu den Märchenfiguren und zur Entstehung des ungewöhnlichen Comic-Konzeptes hätte ich mir gewünscht und dafür gerne auch einen höheren Preis akzeptiert.
Als Zusatz am Ende des Comicbandes gibt es aber eine märchenhafte Kurzgeschichte von Bill Willingham, die den Comicband sehr bereichert.
Die Reise hat erst begonnen
Absolut zu Recht wird “Fables” mit den legendären “Sandman”-Comics verglichen, denn auch dort treten die verschiedensten mythologischen Figuren auf. Auch in Sachen Qualität bewegen sich beide Reihen auf höchstem Niveau.
Momentan gibt es 20 Sammelbände der “Fables”-Comics, doch die Reihe ist noch nicht abgeschlossen. Die Reihe soll final insgesamt 25 Bände umfassen. Zusätzlich warten einige Spin-offs darauf, entdeckt zu werden.
Fazit
DAS Glanzstück moderner Comicgeschichte. Bloß nicht verpassen!
Verlag/ Label: Panini Verlag
Autor: Bill Willingham
Veröffentlichung: 16.11.2006
Seitenzahl: 132
ISBN: 978-3-86607-269
Altersfreigabe: ab 14 Jahren
Webseite: https://www.paninishop.de/artikel/fables-1-legenden-im-exil
Webseite 2: http://www.vertigocomics.com
Webseite 3: https://www.telltalegames.com/thewolfamongus
Copyright Artikelbild: Panini Verlag
-
10/10
-
10/10
-
8/10
-
10/10
-
10/10
-
8/10