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KAZUO KOIKE & KAZUO KAMIMURA – Lady Snowblood Vol. 1: Kind der Rache

“Lady Snowblood” ist ein echter Oldschool-Manga im Stile der ersten Mangaveröffentlichungen, wie etwa “Devilman”, “Dragon Ball” etc. Das sieht man vor allem am Zeichenstil, der den anderen genannten Mangas sehr ähnelt, obwohl es sich um verschiedene Künstler handelt. “Lady Snowblood” ist zudem einer der ersten Mangas des sog. Gekiga Stils, bei dem Sex und Gewalt kein Tabu mehr sind.

Der Autor von “Lady Snowblood” ist gerade in Japan eine wahre Legende, Kazuo Koike hat nämlich nicht nur diese Mangareihe erschaffen, auch das bekannte “Lone Wolf And Cub” geht auf seine Kappe. Auch der Zeichner Kazuo Kamimura ist ein bekannter Künstler, der sich ebenfalls bereits in den frühen 70er Jahren für Darstellungen von Sexualität und Gewalt in Mangas stark machte. Zwei wichtige Vorreiter also, deren Werke vielfach als Inspirationsquelle für kommende Werke dienten. Das gilt besonders für Kazuo Koike: “Lone Wolf And Cup” wurde beispielsweise als Realfilmserie verfilmt, die Mangareihe “Crying Freeman” mit Marc Dacasoc in der Hauptrolle im gleichnamigen Film verarbeitet und der vorliegende Manga “Lady Snowblood” wurde selbst dreimal verfilmt und diente auch Quentin Tarantino als Vorlage für den “Kill Bill”-Zweiteiler.

Um was geht’s hier?

Yuki Kashima, also known as Lady Snowblood, wird in einem Gefängnis geboren. Ihre Mutter stirbt bei der Geburt. Und als wäre das alles nicht genug, übernimmt eine Freundin ihrer Mutter die Erziehung von Yuki und bildet sie zu einer Assassinin aus, die die Rache ihrer verstorbenen Mutter und ihres Gemahls (Yukis Vater ist irgendein verführter Gefängniswärter) durchführen soll. Der Mann von Yukis Mutter wurde von mehreren Dorfbewohnern aufgrund eines Missverständnisses getötet und sie selbst mehrfach über Tage vergewaltigt. Anschließend tötete sie einen der Dorfbewohner und wurde daraufhin eingesperrt.

Als Yuki schließlich ihre Ausbildung zur Killerin abgeschlossen hat, begibt sie sich auf die Suche nach den Dorfbewohnern, die ihrer Mutter das unfassbare Unrecht angetan haben. Dabei geht sie absolut skrupellos vor und schreckt vor nichts zurück, um sich Informationen und Ressourcen anzueignen, um die Rache ihrer toten Mutter zu vollenden.

Ein Sexpionier

Der Autor Kazuo Koike und auch der Zeichner Kazuo Kamimura gingen hier Anfang der 70er Jahre mit der Veröffentlichung von “Lady Snowblood” ein ziemliches Wagnis ein, denn zu dieser Zeit waren Veröffentlichungen mit derartigen Darstellungen von Sex und Gewalt alles andere als üblich und sogar verpönt. Zum Glück haben sich die beiden nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen und haben dieses Gebiet für die breite Öffentlichkeit erkämpft. Sie sind sozusagen Pioniere auf diesem Gebiet gewesen und haben mit “Lady Snowblood” mit Sicherheit auch ein Stück Pressefreiheit erkämpft. Auch dem Westen war “Lady Snowblood” zu “heftig” und wurde zu allererst nur im Playboy veröffentlicht, denn auch der Playboy Herausgeber Hugh Heffner ist einer der bedeutendsten Streiter gegen die Zensur und für die Pressefreiheit gewesen, was vielen nicht bekannt ist. Mittlerweile kräht da kein Hahn mehr danach, wenn man derartige Veröffentlichungen sieht und das ist auch der Erfolg solch bedeutender Personen, die sich getraut haben, ihre Werke entgegen der öffentlichen Meinung zu veröffentlichen.

Gesellschaftskritik

Die Figur Lady Snowblood ist eine Kreatur, geschaffen aus purer Rache an der Gesellschaft. Denn viele ihrer Rachefeldzüge führen Lady Snowblood gerade an Orte, an denen in der Meiji- Ära (genauer die 1890er Jahre) die Veränderungen Japans durch die drohende Kolonialisation und dem Einfluss der Kolonialmächte sehr deutlich wurde, wie beispielsweise ein Ballsaal nach westlichem Vorbild, an dem ein Maskenball stattfindet. Auch die Figur Yuki Kashima bzw. Lady Snowblood selbst schwankt immer wieder zwischen selbstbestimmter Frau und Sklavin des Willens ihrer verstorben Mutter.
Auch sexuelle Unterdrückung der Frauen durch die Männer ist ein zentrales Thema dieses Mangas und Lady Snowblood fungiert hier auch oft als Racheengel vieler gequälter Frauen. Hinter obszönen und gewalttätigen Bilder verbergen sich hier auch sehr viele Botschaften, die intelligent platziert wurden.

Am wichtigsten ist aber zu erwähnen, dass der Ehemann von Yukis Mutter aus einem reinen Missverständnis ermordet wurde, da die Dorfbewohner ihn für einen Beamten hielten. Man muss wissen, dass in dieser Zeit die weißgekleideten Beamten äußerst verhasst waren, da diese immense Steuern eintrieben und die Durchführung der neu eingeführten Wehrpflicht gewährleisteten. Der pure Hass der Dorfbewohner auf dieses neue, moderne System aus dem Westen, entlud sich darin, dass sie Yukis Mutter mehrfach vergewaltigten und ihren Mann abschlachteten.

Exkurs: Schmuddel oder Kunst?

Bei “Lady Snowblood” ist diese Frage eindeutig zu beantworten: es handelt sich hier definitiv um hochwertige Kunst. Aber generell will ich hier auf etwas allgemeineres hinaus und eröffne einen längst überfälligen Miniblog: Wann sind erotische/sexuelle/pornographische Darstellungen noch Kunst und wo beginnt die Phase, in der “Schmutzigkeit”, Pornographie, gezieltes “Sex sells Marketing” und dergleichen anfangen? Nun, zuallererst liegt diese Einordnung natürlich am Individuum, denn ein jeder zieht seine Grenze wo anders. Dies hat nichts mit Abstumpfung zu tun, denn die meisten Leute haben ein sehr gestörtes Verhältnis zur Sexualität, welches ihnen nur Ärger und Schmerz einbringen wird. Durch Erziehung und die katholische Kirche wurde sehr viel in diesem Bereich kaputt gemacht, was bei vielen erst durch Therapien wieder in Ordnung gebracht werden kann. Ich kann es nicht oft genug sagen: Sex ist nicht Böses! Warum sollten wir unsere Kinder vor sexuellen Darstellungen überhaupt schützen? Ist eine nackte Frau denn etwas Böses? NEIN! Es ist das natürlichste auf der Welt. Ein gesunder Umgang mit Sex und sexuellen Darstellungen sollte gefördert werden und dieses Thema nicht tabuisiert oder gar dämonisiert werden.
Etwas anders verhält es sich mit der Gewalt. Diese ist eindeutig etwas negatives, doch sollten wir uns auch nicht davor verstecken. Hier ist Jugendschutz natürlich etwas zwingend notwendiges, da zu brutale Darstellungen uns massiv stören und Angst machen können. Auch kann man sich generell absolut sicher sein, dass egal was in Deutschland auch auf den Markt kommt, schon vielfach geprüft worden ist.

Unterm Strich kann man zusammenfassen, dass gerade in Hinsicht auf erotische Darstellungen viel mehr Toleranz gepredigt werden muss, anstatt sie generell zu verteufeln. Bei Gewaltdarstellungen sind verschiede Alterseinstufungen mehr als sinnvoll. Zensur in egal welcher Art ist ein Verbrechen. Das Maß, in welchem wir mediale Sexualität und Gewalt genießen wollen, ist jedermanns eigene Sache.

Stimmungsbombe

“Lady Snowblood” sollte man gesehen und gelesen haben, gerade als Fan von Fernost. Die Atmosphäre ist einfach so dicht wie in einem guten japanischen Film. Sofort befindet man sich im Japan der Meiji- Epoche und folgt der Killerin Lady Snowblood an verschiedene Handlungsorte, die alle stimmungsvoll und künstlerisch anspruchsvoll dargestellt werden. Jeder Mord bzw. Racheakt ist eine in sich geschlossene Geschichte mit eigenen Schauplätzen und eigenem Hintergrund. Zusammen verbinden sich diese Einzellgeschichten zu einem wunderbaren Racheepos. In Band 2 von “Lady Snowblood” wird die Geschichte fortgesetzt. Zudem führt mit Band 3 ein Epilogband die Geschichte zu einem Ende.

Der Manga

Das ungewöhnliche Format nennt sich Großtaschenbuch und sieht aus wie ein typischer Manga mit sehr vielen Seiten. Dieser lässt sich jedoch problemlos lesen, man erkannt auch ohne Weiteres die Bilder nahe an der Bindungsstelle. Hier fände ich ein Hardcover auch gar nicht notwendig, ich bin durchaus zufrieden mit dieser Art der Veröffentlichung. Die Papier- und Druckqualität geht auch vollkommen in Ordnung und lässt kaum Wünsche offen.

Fazit

Ein echtes Stück Mangageschichte, die noch heute Künstler zu neuen Werken inspiriert. Lady Snowbloods Rachefeldzug ist nicht nur ein stimmungsvoller und unterhaltsamer Manga, nein, auch eine philosophische Gesellschaftskritik der damaligen Zeit. Intelligent, nackt und blutig —–> zugreifen!

Verlag/ Label: Carlsen

Autor: Kazuo Koike

Veröffentlichung: 01.06.2006

Seitenzahl: 514

ISBN: 978-3-551-77781-2

Altersfreigabe: ab 16 Jahren

Webseite: http://www.carlsen.de/serie/lady-snowblood/18587

Webseite 2: http://www.killbill-derfilm.de/

Copyright Artikelbild: Carlsen

  • 8/10
    Handlung - 8/10
  • 8/10
    Intensität und Atmosphäre - 8/10
  • 8/10
    Grafische Ausarbeitung - 8/10
  • 8/10
    Charaktere - 8/10
  • 8/10
    Druckqualität und Haptik - 8/10
8/10

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