AND ONE – S.T.O.P.

Die Lieferung dieses Albums enthält sogleich eine bandeigene Warnung: “And One liefern ein Werk ab, welches an dreister Selbstkopie kaum zu überbieten ist”.

Clever. Jegliche Vorwürfe zum Thema Wiederholung, Innovationslosigkeit, Kreisbewegungen und mangelnder Entwicklungsfähigkeit würden also ins Leere laufen, denn all das wollen And One anscheinend überhaupt nicht vermeiden.
Eine prophylaktische Verteidigung gegen böse Reviewer also? Na gut, wenn sie es darauf anlegen, wird dieses Review ein Streifzug durch das Schaffen dieser Band, um festzustellen, was es mit dieser Warnung des Herrn Naghavi und seiner Partner (deren fluktuierende On-Off-Bandmitgliedschaften auf eine Art offene Beziehung hinweisen) auf sich hat.

And One ist schon so ein Phänomen. Einerseits produziert diese Band nichts weiter als gewöhnlichen, harmlosen Synthie-Pop. Es ist ja nicht so, dass das nicht echt viele Bands tun. Andererseits erkennt man einen And One Song meistens schon am Intro, und spätestens wenn Steve Naghavi, in den letzten Jahren nicht nur durch seine Stimme, sondern vor allem wegen seiner bodenständigen Arroganz zur Kultfigur aufgestiegen, anfängt zu singen und die Synthies einsetzen weiß man: Dieses Lied ist von And One!
Die Synthies? Man soll eine Synthie-Pop-Band am Einsatz der Synthies identifizieren können? Nun. Ja, es gibt Synthies und es gibt And One-Synthies. Es gibt Bands, die bringen immer wieder Alben raus, die gleich klingen, und es gibt And One, die immer wieder Alben rausbringen, die wie And One-Alben klingen.

And One ist, laut Steve Naghavi im Orkus-Interview (Ausgabe 06/2012), “der DJ unter den Bands”. Sie möchten nichts erfinden, sondern zusammenmixen, was ihnen gefällt.
Aus diesem Mangel an Innovationsanspruch an sich selber resultiert jedoch ein unverwechselbarer Klang.
Ist dieser Klang auf dem neuen Album aber eine Selbstkopie? Klingen And One auf “S.T.O.P.” so wie immer? Bevor man hier ein Urteil fällt, muss man differenzieren. Auch wenn diese Band seit eh und je diesen erstaunlich eigenständigen Klang hat, hat sie mehrere Phasen durchlaufen, und verstörende Songs, wie man sie auf den Alben der 90er häufig fand, die keine Hits waren und mit denen man nicht genau wusste, was man mit ihnen anfangen soll, und die doch irgendwie, jeder für sich, etwas Besonderes, wie abgefahrene Schichtungen, absurde Tempowechsel oder  einfach eine ganz seltsame Atmosphäre, hatten (“Die Mitte”, “Die Stille Vor Dem Ton”, “Menschen” und viele andere) kann man auf “S.T.O.P.” lange suchen. Diese Experimentier-Phase hat die Band anscheinend abgeschlossen.

Dann kam die Selbstfindungsphase, zwei Alben, die unterschiedlicher nicht sein konnten (“Virgin Superstar”, “Aggressor”), und im Jahr 2006 leitete die Band mit “Body Pop” eine neue Ära ein. Und möchte man diskutieren, inwieweit And One sich selbst kopieren, muss man hier ansetzen, denn diese Phase hält bis heute an.
“S.T.O.P.” reiht sich in die Reihe nach “Body Pop” und “Tanzomat” ziemlich unterschiedslos ein. Nimmt man diese drei Alben, so könnte jeder Song des neuen Albums auch auf einem der anderen beiden Scheiben sein. In manchen Fällen geht es sogar so weit, dass man unmittelbar an einen anderen Song denken muss. Das melancholisch-verträumte “The 4″ etwa ist “The Sound Of Believer” von “S.T.O.P.”, etwas monotoner jedoch, mit leicht düsteren Einschlägen fast gleichzeitig ein bisschen “traumfrau”-haft.

Auf “S.T.O.P.” leben schnelle, freundliche Synthpopsongs  (“Memory”, “Shouts Of Joy”) neben romantischen Midtempo-Tracks (“You Without A Me”) und etwas düstereren, monotoneren und weniger poppigen Artgenossen (“The 4″, “Killing The Mercy”) in einem freundlichen Miteinander.
Alle werden sie genährt von den Synthies, also von DEN Synthies, die dem Hörer erzählen, um welche Band es sich handelt. Es ist also alles wie auf “Body Pop” und “Tanzomat”. Überraschungen gibt es nicht. Auch nicht durch die langsamen, atmosphärischen Songs, die zwischen all den Partyhits versuchen, ein Stück “L‘Art pour l’Art” hineinzubringen, also das Album ein wenig vom Unterhaltungscharakter abzuwenden, denn die gab es schon immer, man könnte sie als eine Art Nachfolger der erwähnten experimentellen, verstörenden Stücke bezeichnen.
Es ist übrigens immer wieder schade um diese Lieder, weil sie schön sind und tatsächlich eine völlig andere Stimmung wecken, jedoch zwischen den Uptempo-Songs einfach untergehen.
Schließt man während dem zurückhaltenden, ruhigen “Aigua” die Augen, genießt das Stück Musik und will gerade feststellen, dass das ein richtig schönes, kunstvolles Lied ist, wird es vom lebhaften, Aufmerksamkeit fordernden “S.T.O.P. The Sun” völlig verdrängt und verschwindet irgendwo in den Hinterkopf, während Letzteres dauerhaft auf die “Best Of And One”-Listen und in die Club-Playlists aufgenommen wird.
Und die letzten drei Stücke auf dem Album, getragen von düsteren Synthies (“The End Of Your Life”) und milden Pianoklängen (“No Words”) sind wirklich schön, aber als Hörer ist man noch beschäftigt damit, sich von “Back Home” zu erholen, und spätestens wenn das Album dann mit “Shouts Of Joy” von vorne anfängt, sind sie Stücke vergessen.

Ob einer dieser lauten, knalligen Songs als Nachfolger von “Military Fashion Show” fungieren wird, wird sich im Laufe der Zeit zeigen. Das soeben erwähnte “S.T.O.P. The Sun” hat zumindest ähnlich einprägsame Synthies und eine sehr eingängige Melodie.
Schnellere Tanzbeats bietet hingegen das freche, ach was, Naghavi-artig dreiste “Don’t Get Me Wrong”, das sich mit seinen bezaubernd-niedlichen Synthies dann doch wieder für seinen Text entschuldigt (“She takes my hand and says: ‚Don’t you want to fuck me? I am ready to play!‘ I am the gear, she is obscene. We are the oil of the shaking bed machine.”).
Aber zumindest auf Anhieb zündet keiner der beiden Songs so sehr wie “Military Fashion Show”, der die Messlatte aber auch hoch gesetzt hat. Großen Spaß machen die Songs dennoch.

Mit “Back Home” greifen And One in ihrem Bestreben, sich selbst zu kopieren, dann doch etwas weiter zurück: Es klingt, als wollten sie ein aufpoliertes “Wasted”, seiner Zeit einer der wenigen Lichtblicke auf dem reichlich seltsamen Album “Virgin Superstar”, in ein angemesseneres Umfeld befördern. Dem streng nach vorne schreitenden Rhythmus gehorcht man heute wie damals widerspruchslos.

Man kann es Selbstkopie nennen, man kann es aber auch And One-Musik nennen. Anscheinend hat die Band Spaß beim Zusammenmixen, die Hörer am Hören und alles ist gut, solange es funktioniert. Irgendwann hat da keiner mehr Lust drauf und die Band wird eine neue Ära einleiten oder sich auflösen müssen, aber bis dahin gibt es keinen Grund zur Sorge oder Beschwerde.

Naja doch, ein bisschen: Was seit Beginn der “Body Pop”-Ära leider nach wie vor fehlt, sind “Panzermenschen”, “Strafbomber” und “Deutschmaschinen”. Vielleicht hat die Band diese aggressive Phase endgültig hinter sich gebracht. Vielleicht sollte man aber auch einfach den Kerl von Lola Angst und sein “Dark Kasperletheater” fragen, ob er Steve nicht weiter provozieren möchte, damit der so wütend wird, dass er aus lauter Zorn mal wieder so einen Song schreibt.

Verlag/ Label: Synthetic Symphony / SPV
Veröffentlichungsdatum: 25.05.2012

Trackliste:
01 Shouts Of Joy
02 Killing The Mercy
03 Memory
04 You Without A Me
05 Don't Get Me Wrong
06 Aigua
07 S.T.O.P. The Sun
08 The 4
09 Back Home
10 Everybody Dies Tonight
11 The End Of Your Life
12 No Words

Webseite: http://www.andone.de/
Webseite 2: https://de-de.facebook.com/ANDONEoffiziell
Copyright Artikelbild: SPV

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