Heute stelle ich euch ein ganz besonders ungewöhnliches Buch vor, das definitiv nicht für Jedermann geeignet ist. Hier muss man schon große Interessen in den Bereichen Geschichte, historische Karten und mittelalterlichem Monsterdesign zeigen, um am Buch “Seeungeheuer und Monsterfische: Sagenhafte Kreaturen Auf Alten Karten“ von Chet van Duzer Gefallen zu finden. Diesen Auserwählten eröffnet sich jedoch mit dem Buch eine wahre Fundgrube an Inhalten, die man in dieser Form nur durch intensivste und aufwändige Recherche zusammentragen kann.
Kampf dem horror vacui
Der Autor Chet van Duzer widmet sich in seinem Buch “Seeungeheuer und Monsterfische: Sagenhafte Kreaturen Auf Alten Karten“ einem Thema, das erstaunlicherweise unbeachtet geblieben ist und fördert auch aus diesem Grund viele interessante Details zu Tage. Er betrachtet Kartenmaterial aus der Antike, dem Mittelalter und der Renaissance und analysiert die Darstellungen von den verschiedensten Monstern, die auf den Karten abgebildet sind. Dabei geht Chet van Duzer sehr genau auf die Gründe der Darstellungen ein. So ist z.B. ein Grund vor Gefahren hinzuweisen, seien diese nun tatsächlich berechtigt oder auch nicht. Seltener wurden diese Seeungeheuer als Lückenfüller, sozusagen um den horror vacui, also die Angst vor der Leere (bezogen auf Kartenmaterial), zu beseitigen. Auch die Gründe der Darstellungen wandelten sich im Laufe der Zeit und sind so unterschiedlich im Mittelalter und in der Renaissance.
Manchmal sind es aber auch ganz banale Gründe, warum ein Kartenhersteller seine Werke mit Monstern versah. Hin und wieder dienten diese nämlich auch nur zur Verzierung und wer als Kartograph die schönsten bzw. schaurigsten Monster zu bieten hatte, konnte seine Werke besser verkaufen.
Da im Mittelalter der christliche Glauben im Abendland vorherrschend war, beeinflusste dieser auch diverse andere Gebiete, wie die Kunst und die Wissenschaft. So ist es nicht verwunderlich, dass im Mittelalter die Darstellungen der Seeungeheuer auf mittelalterlichem Kartenmaterial auch viele Anspielungen auf die christliche Glaubenswelt boten. Mythologische Ungeheuer, wie etwa der gigantische Leviathan aus der jüdisch-christlichen Mythologie, veranschaulichen dies. Auch die gesamten Quellen mit Informationen zu dieser Zeit und auch das Kartenmaterial selbst stammen aus der Hand christlicher Horte des Wissens, wie etwa den Klöstern und Abteien, und so sind es vor allem jene Quellen, aus denen Chet van Duzer in seinem Werk zitiert.
Chet van Duzer erklärt uns anhand unzähliger Quellen, was es mit den Seemonstern auf alten Karten zu tun hat. Aber er nimmt sich auch ganz gezielt besondere Karten heraus, die stellvertretend mehrere Besonderheiten erklären. So dient z.B. die Carta marina des Olaus Magnus (wir sehen einen kleinen Ausschnitt auf dem Cover des Buches) als bedeutendste und reichhaltigste Sammlung von Seeungeheuern des 16. Jahrhunderts.
Ein Monsterquellenbuch
Der wichtigste Grund für mich, das Buch “Seeungeheuer Und Monsterfische: Sagenhafte Kreaturen Auf Alten Karten“ zu rezensieren, ist mein ungeheurer Hunger nach den verschiedensten Tier- und Monsterdarstellungen aus den verschiedensten Zeiten der Weltgeschichte, welche in Form der unterschiedlichsten Kunstarten vorliegen. Und hier bietet mir das Buch “Seeungeheuer Und Monsterfische: Sagenhafte Kreaturen Auf Alten Karten“ ein wahres Sammelsurium an neuen Ideen und liefert dem Mythenforscher in mir aufschlussreiche und interessante Hintergrunddetails. Ein Grund für die chimärenartigen Mischwesen auf dem Kartenmaterial mit den Abbildungen der im Wasser lebenden, phantastischen Wesen ist sehr einleuchtend, betrachtet man die damalige Weltanschauung. So zitiert der Autor Chet van Duzer die beiden Quellen Plinius der Ältere (23-79; also mitten in der Antike) und Gervasius von Tilbury (ca. 1150-ca. 1228), die in ihren Werken davon sprechen, dass es zu jedem Landlebewesen auch eine entsprechende Wesenheit im Wasser geben muss. So ist dann auch die Existenz einer Meerjungfrau, also eine Menschenfrau im Element Wasser, zu erklären. Aber auch diverse andere phantastische Tierarten wie Mischungen aus Schweinen, Pferden, Löwen usw. mit Fischen, finden sich auf den Karten. Gerade diese Abbildungen sind auch die vorherrschenden, die hier öfter als Seemonster, die wir dort eigentlich erwarten würden, also z.B. Wale, Kraken und Seeschlangen, zu finden sind. Um aber nochmal auf die Meerjungfrau zurückzukommen: Derartige Darstellungen finden sich bereits in der Bronze- und Eisenzeit, z.B. im babylonischen Reich, wo es Darstellungen von Meermännern gibt, die dort im Meer schwimmen. Eine ähnliche Wesenheit, die mir vorher komplett unbekannt war, findet sich z.B. deutlich später auf einer Skandinavienkarte, die ebenfalls eine Art Meermann ist, jedoch als Ichthyokentaur bzw. Fischkentaur bezeichnet wird.
Auf den Karten aus dem Mittelalter (von denen leider nicht mehr viele erhalten sind) und der Renaissance finden sich aber noch diverse andere Kreaturen, die wohl komplett der Fantasie der erschaffenden Künstler entsprungen sind.
Die Darstellung der Seeungeheuer ändert sich in der Renaissance stark. Die Qualität der Darstellungen erhöht sich durch die Evolution der Kunst sehr stark. So scheinen die Monster fast dreidimensional und wirken dynamisch, wie direkt in der Bewegung gezeichnet. Renaissancetypisch bedienen sich die Künstler dieser Epoche auch eher klassischen Quellen (z.B. griechische Heldensagen) bei der Darstellung der Monster.
Diverse Seeungeheuer des Mittelalters, die sich auf den Seekarten finden, sind jedoch für uns ganz normale Tiere, die aber für einen Menschen des Mittelalters ein richtiges Monster darstellen. So finden sich hier auch Tiere wie Walrösser, Wale und Sägefische, die für uns nichts Übernatürliches darstellen. Im Mittelalter war es aber für viele egal, ob sie einen Wal oder einen Drachen sehen, beides war für sie unerklärlich und mysteriös.
Verarbeitung des Buches:
“Seeungeheuer Und Monsterfische: Sagenhafte Kreaturen Auf Alten Karten“ von Chet van Duzer erscheint als großformatiges Buch mit Hardcover und schön illustriertem Schutzumschlag (siehe Coverbild). Die 144 Seiten beherbergen 147 farbige Illustrationen. Papier- und Druckqualität sind gut.
Der Verlag Philipp von Zabern hält auf seiner Homepage auch eine Lesevorschau bereit, mit der man sich einen wunderbaren Eindruck vom Buch “Seeungeheuer Und Monsterfische: Sagenhafte Kreaturen Auf Alten Karten“ verschaffen kann.
Fazit
“Seeungeheuer Und Monsterfische: Sagenhafte Kreaturen Auf Alten Karten“ ist definitiv nichts für Jedermann, sondern spricht ganz gezielt Historiker, Sagenkundler und Freunde von historischem Monsterdesign an. Diese werden aber ihre wahre Freude mit dem Buch haben, ich spreche hier aus eigener Erfahrung. 🙂
Verlag/ Label: Verlag Philipp von Zabern in Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Autor: Chet van Duzer
Veröffentlichung: 11.03.2015
Seitenzahl: 144
ISBN: 9783805348591
Altersfreigabe: unbekannt
Webseite: http://www.wbg-verlage.de/shop/de/wbv/seeungeheuer-und-monsterfische-1014732-001
Webseite 2: Amazon
Copyright Artikelbild: Verlag Philipp von Zabern in Wissenschaftliche Buchgesellschaft
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