Heute wagen wir uns erneut an einen echten Klassiker. Jeder, der sich ernsthaft mit Samurai-Filmen beschäftigt, wird früher oder später zwangsweise auf “Lone Wolf and Cub” stoßen, das im Original unter dem Titel “Kozure Okami” veröffentlicht wurde. Basierend auf einer Mangareihe der Mangameister Kazuo Koike und Goseki Kojima (wir kennen Herrn Koike bereits aus der Rezension von “Lady Snowblood”) realisierte der Autor und Regisseur Kenji Missumi die Umsetzung in Form von sechs Filmen, die zwischen den Jahren 1972 und 1974 veröffentlicht wurden.
Am besten beschreibt man “Lone Wolf And Cub” als Kunstwerk, ein Meisterwerk der Gewalt, ein Drama der menschlichen Abgründe, die eine Seele auf ihrem Rachefeldzug tief in die endlosen Tiefen der Hölle fahren lässt.
Ursprung
Die Mangareihe “Lone Wolf and Cub” von Kazuo Koike und dem Zeichner Goseki Kojima zählt zu den großen Meisterwerken aus Nippon. Die gleichnamige Verfilmung ist mindestens genauso gut und aufgrund der Art des Mediums noch bekannter, auch im Westen. “Lone Wolf And Cub” gilt genauso wie die Samurai-Trilogie über das Leben von Miyamoto Musashi (ja, den guten Mann kennen wir ja bereits) des Regisseurs Hiroshi Inagaki aus den 1950ern als einer der Meilensteine des Chambara-Genres. Aber im Gegensatz zu dieser, ist die Geschichte um Itto Ogami rein fiktiv. Nichtsdestotrotz finden wir in “Lone Wolf And Cub” eine Vielzahl von Anspielungen aus der Realität sowie der Geschichte und Kultur Japans. Zum Bespiel der berühmt berüchtigte Yagyu-Clan, der eine Rolle in vielen Geschichten rund ums Japan der Edo-Zeit und darüber hinaus spielt. Der Mangaka Kazuo Koike besitzt als Geschichtsprofessor zudem das nötige Hintergrundwissen und kann dessen Validität bestärken.
Exkurs Chambara Genre
Das Chambara-Genre entspricht der Gattung der Samurai Filme. Wörtlich übersetzt bezeichnet es das Zusammentreffen zweier Schwerter. Zentrale Figuren sind meist die herrenlosen Samurai der Edo-Zeit, die sog. Ronin, welche auf der Suche nach Arbeit und Abenteuer ständig unterwegs waren.
Deutung
Ich habe selten eine so gute Mediendeutung wie im beiliegendem Booklet von “Lone Wolf And Cub” in dieser Blu-Ray-Edition gelesen. Um mehr über die Bedeutungen der Figuren und Intentionen der Autoren und Schöpfer dieses Werkes zu erfahren, empfehle ich euch dringend, dieses Heftchen durchzulesen. Das stellt mich nun also vor die Herausforderung, etwas Neues zu verfassen, obwohl eigentlich schon alles gesagt wurde. Zu diesem Zweck zäumen wir das Pferd erneut auf und zwar aus einem komplett neuen Blickwinkel.
Ich als größter Japan Fan des Multiversums kenne so ziemlich jede große Samurai Geschichte, die Japan je hervorgebracht hat. Und gerade deshalb maße ich mir an, “Lone Wolf And Cub” zu einer der Besten zu küren. Neben Myamoto Musashi ist auch Itto Ogami definitiv ein Antiheld, der über Leichen geht, um seine Rache zu vollenden. Auch schreckt er nicht davor zurück, sogar sein Kind als Werkzeug zu missbrauchen. Sein Sohn Daigoro folgt ihm blind ins Verderben, aber schließlich hat er seinen Pfad ja auch mit nicht mal einem Jahr Lebenserfahrung auch schon ausgesucht… Rechtfertigung findet Itto Ogami dadurch, dass er sich und seinen Sohn längst nicht mehr als Menschen sieht, sondern als “Wanderer auf dem Pfad in die Hölle” und somit sind alle seine Taten gerechtfertigt, da er ohnehin verdammt ist. Dabei vergisst er aber seine Ehre nicht. Dieses Prinzip ist bei den Samurai viel tiefer verwurzelt als ihr eigenes Leben oder das ihrer Liebsten. Es scheint ihnen direkt ins Erbgut eingeschweißt worden zu sein, denn selbst als er sich oder seinen Sohn in Lebensgefahr sieht oder sogar seinen Rachefeldzug gefährdet, würde er nie gegen den Ehrenkodex der Samurai verstoßen. So geschieht es, dass Itto Ogami ganz nebenbei auch vielen Menschen hilft. Auch sein neuer Job als Mörder, der Mordaufträge annimmt um seinem Ziel näher zu kommen, unterstützt oft die eigentlich guten Menschen, denen Unrecht angetan wurde. Er tötet also hauptsächlich die Bösen. Das Urböse in Form des Yagyu-Clans ist sein Hauptziel, doch auch innerhalb der Linien dieses Clans weiß er durchaus Schuldige von Unschuldigen zu unterscheiden und tötet vornehmlich Mitglieder des Shadow Yagyu-Clans.
Itto Ogami und die Frauen
So, jetzt haben wir gleich mal etwas gefunden, was Vorrezensenten meiner Zunft nicht schon bis ins letzte Detail durchgekaut haben, und zwar Itto Ogamis Beziehung zu den Frauen. Zuallererst ist natürlich Itto Ogamis Frau zu erwähnen, um die sich dieser ganze Rachefeldzug gegen ihre Mörder aus dem Hause Yagyu in erster Linie dreht. Erst in Zweiter Linie geht es hier um die Wiederherstellung der Ehre seines Hauses. Und sein Sohn und er sind ohnehin verloren, ich bin mir absolut sicher, dass hier von Anfang an von Seiten Itto Ogami keine Intention bestand, dass beide das Ganze überleben. Itto Ogami liebte seine Frau über alles, auch wenn das für westliche Zuschauer schwer nachzuvollziehen ist in einem ehrwürdigen Hause eines Samurai, in dem das komplette Leben von gesellschaftlichen, religiösen und persönlichen Riten durchzogen ist, die eine pure Gefühlsäußerung nahezu unmöglich machen. Nichtsdestotrotz schafft es selbst ein Itto Ogami nicht, der ein Inbegriff der Selbstbeherrschung ist, seine Tränen beim Anblick seiner ermordeten Frau zurückzuhalten.
Im ersten Film “Das Schwert Der Rache” begegnet er einer Kurtisane, mit der er schläft, um diese zu retten. Das klingt jetzt im ersten Moment total absurd und geschmacklos, aber ich versichere euch, die Situation, in der die sexuelle Handlung stattfindet, hat rein gar nichts mit Lust zu tun. Nur durch seine Furchtlosigkeit schafft es Itto Ogami mit der Frau zu schlafen und rettet dadurch ihr Leben. Als er, nachdem er die Übeltäter ausgelöscht hat, seiner Wege zieht, will sie sich ihm anschließen, da sie sich neben dem Schutz auch Liebe von Itto Ogami erhofft, doch dies lässt er nicht zu und zwingt sie zum Bleiben.
Im zweiten Film “Am Totenfluss” begegnet ihm eine Anführerin eines Yagyu-Unterclans, die eine Art Ninjameisterin ist und obwohl sie und ihre Untergebenen Ninjakriegerinnen Itto Ogami mehrmals attackieren, verschont er diese. Später im Film folgt eine “Aufwärmszene”, in der er sie als “Heizfrau” nutzt, um seinen Sohn und sich vor der Unterkühlung zu retten. Diese Szene ist ebenso ein Zeichen für Itto Ogamis eisernen Willen, der Treue zu seiner Frau und einer “McGyverhaften Zweckentfremdung”. 🙂
Das Kind
Interessanterweise genauso wichtig wie der “Wolf” ist auch das “Kind”, denn Itto Ogamis Sohn Daigoro spielt schon im ersten Film eine tragende Rolle, die sich mit zunehmendem Alter immer weiter ausbaut. Im zweiten Film rettet sein 3-jähriger Sohn ihm sogar schon das Leben, indem er den schwerverletzten Vater mit Nahrung versorgt, die er selbstständig organisiert. Eine der berührensten Szenen der Filme handelt auf eben dieser Nahrungssuche, als Daigoro vor einem Götterschrein Opfergaben in Form von Reisknödeln findet. Doch anstatt diese einfach zu nehmen, merkt das Kind instinktiv, dass es hier ein Unrecht tun würde und bietet der Götterstatue als Gegenleistung seine deutlich wertvollere Jacke an und hängt sie dem Gott sogar um, damit dieser nicht friert. Diese Szene ist derart intensiv, wie sie es nur wenigen Regisseuren und Schauspielern überhaupt gelingt zu erschaffen. Mit den Reisknödeln kann Daigoro dann seinen Vater am Leben erhalten. Daigoro erträgt alle Strapazen schweigend und genießt jede kurze Möglichkeit der Freude. Er würde durch seine Kindlichkeit aber niemals seinen Vater oder sich gefährden. Er wurde selbst zu einem Werkzeug der Rache seines Vaters, bleibt im Gegensatz zu diesem aber ein Mensch.
Der Kinderwagen
Der Kinderwagen selbst wäre schon absolut würdig, in jedem James Bond Film aufzutreten. Dieses ingenieurstechnische Meisterwerk ist eine wahre Allzweckwaffe und in jedem Film für eine Überraschung gut. In ihm verstecken sich diverse Waffen und auch als Schild zur Abwehr von Pistolenkugeln ist er geeignet. Und wo wir gerade beim Thema sind: Schusswaffen waren bei den Samurai schon recht früh ein Problem und bei vielen sehr verpönt. Ein Kampf mit diesen galt lange Zeit als ehrlos. Der Siegeszug der modernen Waffen war aber nicht aufzuhalten und so wurden Handfeuerwaffen wie einfache Pistolen und Revolver als Nebenwaffen bei manchen Samurai sehr beliebt. Als vollständiger Ersatz zum Katana schafften diese es aber nie.
Ein Held wächst mit seinen Gegnern
Jeder große Samurai, egal ob real oder erfunden, braucht auch prominente, gut ausgearbeitete Gegner, die er überwinden muss, um selbst unsterblich zu werden. Samurailegende Miyamoto Musashi hatte Sasaki Kojiro als Erzrivalen, Muso Gonnusuke überwand angeblich im Freundschaftskampf Miyamoto Musashi, und Itto Ogami bekommt es mit vielen legendären Kriegern des Yagyu-Clans zu tun. Der reale Yagyu-Clan ist Bestandteil vieler Geschichten, denn dieser mysteriöse Clan bildete eine Vielzahl von Top-Samurai aus und wurde von noch größeren Talenten wie etwa dem Schwertheiligen Yagyū Muneyoshi Sekishūsai, angeführt. Der Clan wurde immer wieder mit verschwörerischen Komplotten gegen die Regierung in Verbindung gebracht. Auch wurden dort Ninjatruppen ausgebildet.
Aber nicht nur große Gegner braucht ein legendärer Samurai, auch einen eigenen Kampfstil sollte dieser besitzen, oder zumindest einen bekannten Kampfstil zur Perfektion bringen. Unser oft erwähnte Miyamoto Musashi z.B. erfand den Niten-ryū-Kampfstil mit zwei Schwertern. Auch Itto Ogami kann auf einen eigenen, gefürchteten Kampfstil, die Suio-Schwerttechnik, zurückgreifen. Auch sein Schwert ist etwas Besonderes und zwar ein sog. Dotanuki-Schwert. Elemente wie Schwerter mit Namen finden wir eigentlich eher in der westlichen Literatur, wo Ritter ihren Schwertern stets Namen gaben und diese eine große Rolle in den Geschichten spielten (z.B. Siegfrieds Balmung aus der Nibelungensaga).
Blutorgie
“Lone Wolf And Cub” ist extrem blutig und verdient das “ab 18-Siegel” absolut. Die vorliegende Veröffentlichung von Rapid Eye Movies ist zum Glück ungeschnitten und präsentiert uns das Meisterwerk in seiner ganzen Pracht. Hier wird der Schwertkampf ungeschönt gezeigt, vor Allem was die Folgen angeht. Meterhohe Blutfontänen sind bei “Lone Wolf And Cub” keine Seltenheit. Nur die Farbe des Blutes, die an rote “Plaka Farbe” erinnert, hätte man vielleicht etwas realistischer mischen können. Aber trotzdem ist “Lone Wolf And Cub” sogar für Splatter-Fans durchaus eine Empfehlung wert.
Serie und Manga
Sowohl der Manga von Kazuo Koike und Goseki Kojima als auch die 79-teilige Fernsehserie aus den Jahren 1973 bis 1976 sind eigenständige Meisterwerke und ebenfalls mehr als einen Blick wert. Die Serie erreichte bei der Erstausstrahlung in Japan sogar höhere Einschaltquoten als Olympia.
Bild und Ton
Für das Alter hat “Lone Wolf And Cub” ein sehr, sehr gutes Bild. Hier gibt es absolut nichts auszusetzen. Auch die Qualität des Tons ist einwandfrei. Zwar gibt es keine deutsche Synchronisation, das wäre aber ohnehin nicht empfehlenswert, da die Originalstimmen der Schauspieler nicht zu toppen gewesen wären und den Filmen einiges an Atmosphäre verloren gegangen wäre. Sobald man vom Charme der Filme gefangen genommen wurde, bekommt man richtige Gänsehaut wenn Itto Ogami Darsteller Tomisaburō Wakayama seine berühmte Vorstellung seinen Feinden entgegenschmettert, die danach als Geschnetzeltes enden. Wobei Geschnetzeltes hier falsch ist, denn die Präzision und Kunstfertigkeit von Itto Ogamis Suio-Schwerttechnik erlaubt wahre “Todeskunstwerke” wie z.B. im Film “Am Totenfluss” im Endkampf zu sehen ist, wo er den Hals eines Samurais derart anatomisch wunderlich aufzuschneiden weiß, dass aus diesem ein ganz bestimmter Ton zu hören ist. Der besiegte Gegner weiß dies auch zu würdigen, denn ein derartiger Treffer gelingt nur wahren Könnern.
Lediglich die Anfangsszene des ersten Films “Das Schwert Der Rache” wirkt in Sachen “Special Effects” etwas am Ziel vorbeigeschossen, denn hier wird sehr übertrieben mit Farben und kakophonischen Tönen gearbeitet. Zwar ist das aufgrund der Szene durchaus beabsichtigt, denn Itto Ogami muss hier als gehorsamer Scharfrichter Kaishaku-Nin des Shoguns, ein wehrloses und unschuldiges Fürstenkind töten und die “kranke” Szenerie soll durch ein extremes Bild und unharmonischen Ton unterstrichen werden, doch hat man hier für den Westen zu tief in den Topf gegriffen und schießt übers Ziel hinaus. Also Zuschauer, bloß nicht von den ersten 10 Minuten abschrecken lassen. Überhaupt ist aber der Ton eine weitere Erwähnung wert, denn der Einsatz von disharmonischen Klängen findet auch in späteren Filmszenen aller sechs Filme Anwendung, wenn Itto Ogami oder sein Sohn in Gefahr schweben.
Inhalt der Blu-ray
Alle sechs Filme sind auf der Blu-ray enthalten, also ein wunderbares Gesamtkunstwerk.
Die Titel der Filme lauten:
- “Das Schwert Der Rache”, 1972
- “Am Totenfluss”, 1972
- “Der Wind Des Todes”, 1972
- “Die Tätowierte Killerin”, 1972
- “Der Weisse Pfad Der Hölle”, 1973
- “Blutiger Schnee”, 1974
Als Bonus gibt es ein tolles Heftchen mit Hintergrundinfos und Kinotrailer. Lediglich in Sachen Mediengestaltung hätte man die Blu-ray etwas schöner gestalten können.
Schlusswort
Ich hoffe, ich habe euch die Reihe etwas näher bringen können, und das etwas anders als Vorrezensenten, die oftmals großen Wert auf die philosophische Bedeutung der Filmreihe und deren Protagonisten gelegt haben. Ich kann “Lone Wolf And Cub”, gerade in dieser Neuveröffentlichung nur weiterempfehlen, besonders für Leute mit Interesse an Samurai, Japan, Martial Arts usw. sind diese sechs Filme perfekt geeignet!
Fazit
Ein Meisterwerk des Chambara-Genres!
Trailer:
Verlag/ Label: Rapid Eye Movies HE GmbH
Veröffentlichung: 05.12.2014
Laufzeit: 527 Minuten
Altersfreigabe: ab 18 Jahren
Webseite: http://rapideyemovies.de/box-set-lone-wolf-cub-kozure-okami/
Webseite 2: https://www.youtube.com/channel/UCrIZuxhGvITzw4MALF9202A
Webseite 3: http://yagyu-shinkage-ryu.jp/yagyu_e.html
Copyright Artikelbild: Rapid Eye Movies HE GmbH
Copyright andere Bilder: Rapid Eye Movies HE GmbH
-
8/10
-
7/10
-
10/10
-
10/10
-
10/10
-
9/10