Reprodukt Verlag

MANU LARCENET – Blast 4: Hoffentlich Irren Sich Die Buddhisten

Lange habe ich überlegt, ob ich mir wirklich eine Rezension zum Mammutcomicwerk “Blast” vom Autor und Künstler Manu Larcenet antun soll. Ich wusste zwar praktisch nichts darüber, aber bei der Sichtung der ersten Bilder zeigte sich, dass “Blast” einen sehr depressiven und düsteren Stil, und einen missgestalteten riesigen, tumb wirkenden Mann als Protagonisten verwendet. Da ich aus irgendwelchen Gründen recht sensitiv und empfindlich auf Geschichten, in denen diese Art von Figuren vorkommen, reagiere (z.B. Hodor in “Game Of Thrones”, Oniwakamaru in "Samurai Shamploo" oder Milos aus dem Film “In Hell”) und der Stil von “Blast” zudem keine nette Handlung verspricht, war ich mir zunächst nicht sicher, ob ich mir so etwas emotional packendes wirklich antun wollte.

Nun, da ich aber auch ganz sicher vor keinem Buch zurückschrecke und “Blast” aufgrund seiner düsteren Thematik eine gute Rezension bieten könnte, wagte ich einen Blick. Und es stellte sich heraus, dass meine ursprünglichen Bedenken kaum zutrafen, und die Geschichte von “Blast” in eine vollkommen unerwartete Richtung ging.

Um was geht’s hier

Zunächst sollte man an dieser Stelle erwähnen, dass die 4-teilige Comicreihe (wobei jeder Teil schon ein echtes Mammutwerk ist) wenig mit meinen oben beschriebenen Gedanken zu tun hat, lediglich meine vage Vorrecherche vermittelte mir diesen Eindruck. “Blast” ist eine richtig heftige und intensive Geschichte, die auf keinen Fall die breite Bevölkerung anspricht, nein, die grausamen Darstellungen und das sehr hohe Erzählniveau verlangen direkt nach einem aufgeschlossenen Leser. Auch beim Zeichenstil setzt sich oft Kunst auf Kosten von Detailtreue durch.

“Blast” ist eine furchtbar düstere Geschichte um einen Menschen, der vom Aussehen her einem stämmigen und auch unförmigen, gigantischen Mehlsack gleicht (siehe oben auf dem Cover) und sich nach dem Tod seines Vaters sozial vollkommen isoliert. Der Name des Mannes, der in “Blast” als Protagonist und eine Art Antiheld fungiert lautet Polza Manzini. Die Geschichte ist zum größten Teil ein Rückblick, denn die aktuelle Handlung von “Blast” findet statt, als Polza Manzini wegen eines dem Leser zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten Verbrechens in Untersuchungshaft verhört wird. Im Laufe der Zeit erfahren wir Dinge über Polza Manzini, die uns erschrecken, doch auch oft nachvollziehbar sind, was die Geschehnisse jedoch nicht besser macht. Doch was hier wirklich passiert, ist nicht 100%-ig für den Leser nachvollziehbar, denn die Ereignisse werden in abstrakter zeichnerischer Form dargestellt. Was hier wirklich dahinter steckt, wird uns zunächst nicht klar, aber es ergeben sich vielfältige Interpretationsoptionen für den Leser.

Der Tod seines Vater löst in Polza Manzinis Kopf etwas aus, eine Art glückseligen Sinneszustand, den er mit Rauschmitteln fördern kann. Doch geht dieser weit über ein normales Rauscherlebnis, das z.B. durch Drogenkonsum entsteht, hinaus, denn der Blast, wie ihn Polza selbst nennt, ist eine komplette Loslösung von der Realität. Und obwohl während des Blasts furchtbare Ereignisse um Polza Manzini passieren, wird er süchtig nach dem Zustand des Fliegens und des Schwebens, welches ihm der Blast verleiht.

So stellt sich im Laufe der ersten drei Bände heraus, dass der tumbe Riese, der Schreckliches erleiden wird, für den ich den Protagonisten von “Blast” zunächst gehalten habe, eine ganz andere Person ist und die Handlung auch eine nahezu komplett andere Richtung einschlägt, denn Polza Manzini scheint ein brutaler Schwerverbrecher zu sein oder zumindest mehr Tier als Mensch und doch mag ich ihn, da seine Handlung oft nachvollziehbar ist und die Suche nach dem Blast verlockender erscheint als mancher Alltag.

Handlung (mild Spoiler)

Polza Manzini lebt zurückgezogen bei einem alten Mann und seiner Tochter Carol. Polza muss sich um jeden Preis vor der Polizei verstecken und gibt aus diesem Grund sogar einen Teil seiner lieb gewonnenen Freiheit auf und wandert nicht mehr durch die Natur. Auch die Sucht nach den Blasts lässt ihn zum ersten Mal seit langem in Frieden. Während er mit Carols Vater, Roland, gut zurecht kommt, ist es Carol selbst, die er nicht versteht. Und spätestens nachdem die beiden das Lager geteilt haben, ist Polza in das zierliche Mädchen verliebt, doch sie ignoriert ihn vollkommen.

Doch nach und nach zeigt sich, dass Roland selbst auch ein schwerwiegendes Problem hat und des Öfteren von Polza vom voyeuristischen Spannen abgehalten werden muss. Auch die überaus perversen Collagen, die Roland in Massen anfertigt, machen immer mehr Sinn, vor Allem als Carol Polza anvertraut, dass ihr Vater schon mehrfach wegen Vergewaltigung hinter Gittern war und wegen seines gefährlichen Geisteszustandes Medikamente nehmen muss. Als Polza nach einem nächtlichen Spaziergang im Wald nach Hause kommt und feststellen muss, dass Carol von ihrem eigenen Vater vergewaltigt und fast zu Tode geprügelt wurde, übernehmen bei Polza wieder dunklere Seiten die Überhand in seinem Kopf…

Dieser kurze Storyeinblick kann nicht im Ansatz das zeigen, was sich vor mir auf dem Papier befindet. Lediglich einen kurzen Aufhänger kann das Kapitel “Handlung” für das Werk “Blast Band 4: Hoffentlich Irren Sich Die Buddhisten” leisten. Das Schwierige wird nun zu erklären, warum man bei “Blast” soviel zwischen den Zeilen oder besser gesagt Bildern wahrnehmen kann.

Interpretationswahnsinn (mild Spoiler)

So viele merkwürdige Elemente stoßen einem beim Lesen von “Blast” über den Weg, allein alle zu finden, scheint schon eine große Herausforderung. Ich möchte an dieser Stelle auf ein paar Dinge eingehen, da dies nötig ist, um einen Eindruck von “Blast” zu bekommen. Zunächst sind die Zeichnungen generell in Schwarz-Weiß gehalten, sobald wir aber den Zustand des Blasts betreten, sprüht das Comicwerk geradezu von Farben. Auch wechselt an dieser Stelle die Zeichentechnik komplett und auch andere Künstler sind an dieser Stelle involviert. Vom Kindergekritzel bis zu perversen Collagen ist hier vieles vertreten.

Lustig und merkwürdig zugleich sind an dieser Stelle auch die Comicstrips von Jasper, dem Bipolarbär, die zunächst vollkommen deplaziert wirken, und ich zunächst dachte, dass dies rein gar nichts mit der Geschichte von “Blast” zu tun hat, bis der Bipolarbär plötzlich in der Geschichte selbst erscheint und mir klar wurde, dass sogar diese Comicstrips, die ein wenig an die “Garfield”- oder “Hägar Der Schreckliche”-Comics aus Tageszeitungen erinnern, Teil des Ganzen sind.

Die Personen in Blast werden einigermaßen realistisch gezeichnet, doch bei einigen Personen, z.B. auch bei Polza Manzini, finden wir extrem lange und dünne Nasen, die man eher an einem lügendem Pinoccio zu finden erwartet. Irgendeine Verbindung scheint hier mit dem Schnabel von Eulen zu bestehen, doch die Interpretation liegt mir fern. Auch sind Tiere in “Blast” generell von wichtiger Bedeutung und werden im Vergleich zu allen anderen Elementen absolut detailgetreu gezeichnet. Sie scheinen auch stets eine übernatürliche und dunkle Aura zu besitzen. Beim rauschartigen Sinneszustand Blast von Polka erscheinen zudem meist Moai Köpfe von den Osterinseln, doch welche Bedeutung haben sie?

“Blast” essen Seele auf

“Blast” ist definitiv geistig inspirierend und anregend. Doch spreche ich nicht davon, die gesehenen Handlungen nachzuahmen, nein, nein, nein! Die Darstellung und die Symbolik der Geschichte regen die Hirnaktivität und die Kreativität an. “Blast” ist ein Werk, das einen so schnell auch nicht loslässt, noch lange danach schwirrt einem die schwierige und düstere Stimmung des Werkes nach. “Blast” ist auf keinen Fall ein Comic im herkömmlichen Sinne, eher eine künstlerische gemalte Geschichte. Und ich musste in der Nacht nach dem Lesen natürlich auch von “Blast” träumen…

Ein Werk, von dem man noch lange sprechen wird

Es hat einen Grund, warum der erste Band von “Blast” mit dem Titel “Masse” zum Comic des Jahres 2012 gewählt wurde und das trotz starker Konkurrenz. Solche Gewinner zeigen, dass die “Tagesspiegel”- Jury Ahnung vom Leben und der Kunst hat, so einfach ist mein Fazit dieser Preisverleihung. “Blast” lässt sich auch schwer in vorhandene Schubladen stecken, mehr dazu im folgenden Kapitel.

Psychogramm eines fiktiven Geisteskranken:

“Blast” scheint äußerst erfolgreich zu versuchen, einen Blick in den Kopf eines Geisteskranken zu werfen. Einen, der durch das grausame Leben, das Missgestaltete gestraft, geschwächt wurde und durch den Tod seines Vaters endgültig der Verdammnis anheim fiel. Und alle schrecklichen Taten, die daraus folgen, sind leider auch nachvollziehbar. “Blast” könnte effektiv dem nahe kommen, was ein Psychogramm (eine psychologische Studie der Persönlichkeit, deren Ergebnisse graphisch dargestellt werden) eines Täters darstellt. Und damit meine ich alle vier Bände mit zusammen über 800 Seiten, die gewissermaßen ein Gesamtbild abliefern. Sozusagen ein Annäherung und etwas, was normalerweise graphisch nicht dargestellt werden kann, aber mit “Blast” dennoch sehr erfolgreich versucht wurde.

Zeichnungen

Die Zeichnungen zu bewerten ist ebenfall nicht ganz einfach. Zunächst haben wir mehrere Künstler, die an “Blast” beteiligt sind, doch neben dem Zeichner und Autor Manu Larcenet übernehmen die anderen Künstler nur Randbereiche der Ausschmückung. Der Großteil von “Blast” besitzt jedoch einen einheitlichen Zeichenstil, der in Schwarz-Weiß gehalten ist. Während die Zeichnungen gut sind, ist es vor allem die Atmosphäre, die hier hervorzuheben ist. Auch die Bilderreihenfolge ist hier gekonnt eingesetzt, was in Comics und Graphic Novels eigentlich selten ein Thema ist. Aber hier wird durch gekonnte Mischung von zum Teil beängstigenden oder auch unerwartet auftretenden Bildern eine neue Stimmung kreiert. Diese drücken sich dem Leser ähnlich Geistesblitzen oder Flashbacks auf, so dass die Perspektive des Erzählers und des Protagonisten Polza Manzini eins zu werden drohen. Ich empfehle hier unbedingt, ein paar zusammenhängende Seiten in einer Lesevorschau zu erleben, anders lässt sich “Blast” nur schwer beschreiben. Der Reprodukt Verlag bietet dies auf seiner Homepage auch an.

Aufmachung

Allein die Erscheinung von “Blast Band 4: Hoffentlich Irren Sich Die Buddhisten” ist schon eine Wucht, wie Polza selbst :). Es handelt sich um ein richtiges, gebundenes Buch mit 208 Seiten im Format 20,5 x 27 cm mit einem Hardcover. Druck- und Papierqualität sind auch gut.

Fazit

“Blast” ist Schwarz wie Seelenkrebs, nachhallend wie ein Arsch voll Hämorrhoiden und geheimnisumwittert wie der Schoß von Maria Magdalena.

Manu Larcenet erschafft mit seinem Mammutwerk “Blast” ein ungeheuer intelligentes Gesamtkunstwerk, das zwar schwer verdaulich, aber auch unvergesslich ist.

Verlag/ Label: Reprodukt Verlag

Autor: Manu Larcenet

Veröffentlichung: 15.05.2015

Seitenzahl: 208

ISBN: 978-3-95640-023-0

Altersfreigabe: unbekannt

Webseite: http://www.reprodukt.com/produkt/blast/blast-4-hoffentlich-irren-sich-die-buddhisten/

Webseite 2: http://www.amazon.de/Blast-Hoffentlich-irren-sich-Buddhisten/dp/3956400232/ref=pd_sim_14_3?ie=UTF8&refRID=1TCX9Z8VN6MDK1KG86JK

Webseite 3: http://www.reprodukt.com/kuenstler/manu-larcenet/

Copyright Artikelbild: Reprodukt Verlag

  • 9/10
    Handlung - 9/10
  • 10/10
    Intensität und Atmosphäre - 10/10
  • 8/10
    Grafische Ausarbeitung - 8/10
  • 8/10
    Charaktere - 8/10
  • 10/10
    Innovation - 10/10
  • 10/10
    Druckqualität und Haptik - 10/10
9.2/10

Noch keine Kommentare bis jetzt.

Einen Kommentar schreiben