“Mit einem lachenden und einem weinenden Auge habe ich beschlossen, AND ONE im 25. Jubiläumsjahr würdig und erfolgreich zu beenden.” Das war der melodramatische erste Satz von Steve Naghavi im AND ONE Newsletter am 26.09.2012.
Eindeutig war Steve an diesem Tag mit dem falschen Fuß aufgestanden, aber ich hatte nicht eine Sekunde lang geglaubt, dass diese Ankündigung Realität werden würde. Warum? Erstens: Entscheidungssicher war Herr Naghavi noch nie: “Ich geh mit Unheilig auf Tour – Ach nee, irgendwie ist das doof. Ich lasse es wieder. Ich mach eine Covertour – ach nee, doch nicht!” und zweitens: Nie wieder wie ein Wirbelwind über Bühnen fetzen, blöd daherreden und den Jubel tausender Menschen genießen? Das würde er nicht aushalten.
Tada, ich sollte recht behalten. Den Gedanken daran, so ganz endgültig und echt aufzuhören, fand Steve Naghavi irgendwie wohl ziemlich uncool, und so kam es, wie es kommen musste: And One Forever statt And One Never Again ist das Motto der Tour 2014, Steve Naghavi nimmt alles zurück, er ei nur frustriert gewesen, aber aufhören sei ja auch keine Lösung und jetzt würde alles besser werden.
Einbisschen Angst hat er dem einen oder anderen Fan bestimmt doch gemacht mit seinem Abschiedsgedöns, und wäre es nicht Steve “Wechseldusche” Naghavi, um den es geht, könnte man meinen, das war alles nur dazu da, um Aufmerksamkeit zu erlangen und die Ticketverkäufe anzukurbeln. Doch es war eben Steve Naghavi und der ist wohl einfach nur von einer Midlifecrisis heimgesucht worden. Mit der Forever Tour 2014 möchte er nun nicht nur klar machen, dass er diese hinter sich hat, sondern auch erste Songs aus den gleich drei dieses Jahr kommenden Alben vorstellen und vermutlich auch das ganze Hin und Her wieder gut machen, denn die Forever Tour 2014 ist eine ganz besondere Tour: Jede Stadt bekommt ihre eigene Supportband und ein individuelles Set von sage und schreibe 3,5 Stunden.
In München gaben den Auftakt !DISTAIN, die auch schon bei der S.T.O.P. Fulltime Show im Jahr 2012 die Bühne eröffnet hatten. Gute Laune verbreiteten die drei Augsburger auf Anhieb, brachten an diesem frühen Abend mit ihren poppigen Songs bereits viele Tanzbeine zum Schwingen und wurden besonders von einer Fangruppe von vielleicht fünf oder sechs Leuten übelst gefeiert – nur ihre komischen bunten Riesenknicklichter hätten die Konzertbesucher daheim lassen können.
Die drei Mitglieder von !distain wechseln sich am Mirko regelmäßig ab und singen auch teilweise zu zweit, jeder der drei sorgt also mit seiner eigenen Stimme und Performance für neue Abwechslung. Am Ende wurde sogar lautstark nach einer Zugabe verlangt, der !distain natürlich auch gerne nachkamen. Insgesamt standen sie fast eine Stunde lang auf der Bühne.
Nach einer recht kurzen Pause wurde es pünktlich um 20:15 Uhr – fast wie im Fernsehen – dunkel und AND ONE eröffeten ihre Forever-Show mit “Black Generation” aus dem kommenden Album “Propeller”. Steve am Grinsen, stimmlich topfit, die Leute bedurften keiner Aufwärmphase und waren sofort am Tanzen. Man spürte schon in den ersten paar Minuten deutlich: Das wird heute Abend ein And One Konzert der Extraklasse.
Die alten Klassiker “Get You Closer” und “Goodbye Germany” wurden ebenso frenetisch gefeiert wie “Love You To The End” und das noch junge “S.T.O.P. The Sun”. Und nach dieser Aneinanderreihung von bekannten Hits konnten es Steve und seine dreiköpfige Truppe auch wagen, einen weiteren neuen Song zu präsentieren. “Der nächste Song ist aus den 1980ern, plus minus 25 Jahre”, witzelte Steve über “Bad Girl” aus dem kommenden Album “Achtung 80″ und war fast ein wenig streng zu sich selbst, als er behauptete, der Song könnte auch aus der Feder von Dieter Bohlen stammen – naja! Er war poppig und seicht, so wie es Steve für die “Achtung 80″-Songs angekündigt hatte, aber Dieter Bohlen – so weit würde ich nicht gehen!
Ein Grund, warum man Steve Naghavi einfach gern haben muss, obwohl seine Stimmungsschwankungen und Entscheidungsschwierigkeiten einem wirklich auf den Sack gehen können, ist, dass er sich dieser Schwächen bewusst ist und auch noch witzige Songs drüber schreiben kann. So folgte als nächstes “Shice Guy”, dem Song über die Absage der “Cover For The Masses”-Tour, den And One als kostenlosen Download 2012 herausgebracht hatten nachdem es so viel Kritik für die Tour geregnet hatte. “Ich hätte die Tour nicht absagen sollen, das war ein Fehler – aber ihr wisst, ja, wie ich manchmal bin”, kommentierte er mit einem schelmischen Grinsen.
Die nächsten ungefähr 60 Minuten waren dann wieder eine fabelhafte Mischung aus den besten Songs von And One. In ihrem 25jährigen Bandbestehen haben And One viel Fulminantes, Gutes und Durchschnittliches abgeliefert, aber welche seine besten Songs sind, weiß Steve Naghavi genau – und so begeistert er immer wieder mit Songs, die man live einfach nicht mehr erwarten würde, weil sie so alt sind und ewig nicht mehr auf den Setlisten standen, und über die man sich dann natürlich erst recht freut, so wie das uralte “Exit”, “Body Company” oder die zurückhaltende Ballade “Aigua”. Dazwischen streut er unabdingbare Superhits ein, die auf jedes Konzert gehören und jedes Mal aufs Neue für kochende Hallen sorgen. “Panzermensch” und “Zerstörer” jedenfalls brachten jede Menge – oder besser gesagt noch mehr – heftige Bewegung ins Backstage Werk.
Und eine von Hits und Überraschungen euphorisierte Menge ist natürlich höchst empfänglich für einen weiteren neuen Song: “Unter Meiner Uniform” aus dem kommenden Album “Magnet”, das als EMB-Album angekündigt ist, stellten And One als nächstes vor. “Unter Meiner Uniform” ist dann zwar wohl so eine Art poppige EMB-Ballade, aber auf jeden Fall ein melancholisches und schönes Stück.
Gleichzeitig war dieser Song auch der Auftakt zu einer wundervollen Runde deutschsprachiger Songs, die neben “Traumfrau” hauptsächlich aus Stücken des Albums “Aggressor” bestanden. Zusammen mit “Krieger”, welches schon etwas früher auf der Setliste gestanden war, hatten And One so fast die Hälfte des ganzen Albums dargeboten (wenn man mal die instrumentalen Zwischensequenzen nicht mitzählt), und an dieser Stelle war auch Steves Eigenlob –“Aggressor –das war schon ein tolles Album!” – berechtigt.
Als nächstes trat nun der Schlagzeuger Joke, der sich bisher hinterm Schlagzeug versteckt hatte und nur mit Backing Vocals und kleinen neckischen Witzen auf Steves Kosten bemerkbar gemacht hatte, nach vorne. Gemeinsam sangen Steve und Joke “Murder Murder”, dann hatte Joke mit dem A-ha Cover “The Sun Always Shines On TV” seine gewohnte Soloshow.
Steve erschien nun nur noch im Hemd, ohne Sakko (ich weiß eh nicht, wie er die Hitze so lange in dem Ding aushält) für “Killing The Mercy” und setze sein fulminantes Set mit einem weiteren Schwung aus And One Hits der gesamten Bandgeschichte fort. Die Kracher “Die Mitte” und “Deutschmaschine”, das sensible “Dein Duft”, das Project Pitchfork Cover “Timekiller” und das lustige Stück “Uns Geht’s Gut” über den stressigen Touralltag waren dabei nur die Highlights.
Das reguläre Set endete schließlich mit “Rick”, dem witzigen Rüge-Song an den Keyboarder von And One im 90er-Dancestil. Entsprechend präsentierten Steve und Joke den Song gemeinsam herumblödelnd und erinnerten mich übelst an Will Ferrell und Chris Kattan in ihren herzallerliebsten Rollen im Film “A Night At The Roxbury”.
Aber natürlich war das Münchner And One Forever-Konzert noch lange nicht vorbei, denn im Zugabenteil, der noch einmal ungefähr eine dreiviertel Stunde dauerte, packten Steve und seine Mannen noch mehr Klassiker aus: “Technoman”, “Für”, “Military Fashion Show”, “Life Isn’t Easy In Germany”: Die Evergreens wurden wie immer lautstark und mit Bewegung gefeiert. Einbisschen machte sich Steve (zurecht!) darüber lustig, dass auch neuere Stücke wie “Back Home” und “Shouts Of Joy” inzwischen auf helle Begeisterung stoßen: Denn wie so viele Bands, kennen And One das Problem nur allzu gut, dass alles, was neu ist, erst einmal misstrauisch beäugt oder als schlechter als die alten Songs verurteilt wird: “Es braucht nur ein paar Jahre, dann werden auch neue Songs Superhits”, tönte er mit einem Augenzwinkern.
Nach “Sometimes” – es war bereits weit nach 23 Uhr – zeichnete sich allmählich tatsächlich das Konzertende ab und es wurde ruhiger auf der Bühne. Steve lobte sein Publikum für seine kontinuierliche Energie und begann den Bühnenabschied mit der Klavierhommage “Nordhausen” an die gleichnamige Stadt, gefolgt von dem Quatschlied über “Klaus”, der immer irgendwie die Arschkarte hat. Schließlich endete das Konzert so, wie jedes And One Konzert: Mit einer erschöpften Menschenmenge, die gemeinsam mit Steve Naghavi “Pimmelmann” singt und einem tosenden Applaus. Diesen jedoch hörte ich nur noch von draußen. And One hatten so lange gespielt, dass ich rennen musste wie eine Wilde, um meinen letztmöglichen Bus noch zu erwischen.
Eine Show, die 3,5 Stunden dauert, ist schon echt beeindruckend und eine starke Leistung, die alle Achtung verdient. Gegen Ende hörte man Steves Stimme die Anstrengung natürlich an – aber das ist klar und was anderes erwartet man auch gar nicht. Besonders viel Spaß hat das Konzert wegen der allgemeinen guten Laune gemacht. Ich war zwar schon auf volleren And One Konzerten, auf denen zum Teil aber auch weder Publikum noch Band richtig warm geworden sind. Diesmal hatte man im Werk zwar super viel Platz zum Tanzen, sodass im Prinzip die Kapazitäten noch für einige Konzertbesucher mehr gereicht hätten, aber dafür hatte es nicht einmal am Anfang irgendwelches Eis zwischen Band und Fans gegeben, das noch hätte gebrochen werden müssen. Der Abend war eine Extended-Version einer super Party und nochmal Respekt an And One, die hiermit bewiesen haben, dass sie auf die Bühne gehören – egal was ihr Sänger in einem Anflug von Midlifecrisis-Stimmungen mal wieder rumschreiben sollte.
Setlist (47 Titel – Ernsthaft!):
Black Generation
Get You Closer
S.T.O.P. The Sun
Goodbye Germany
Love You To The End
Bad Girl
Shice Guy
Exit
Body Company
Zerstörer
Panzermensch
Wet Spot
Krieger
Enjoy The Unknown
Aigua
Unter Meiner Uniform
Traumfrau
Speicherbar
Fehlschlag
Für Immer
Murder Murder
The Sun Always Shines On TV
Killing The Mercy
Die Mitte
Deutschmaschine
My Warrior
Dein Duft
Missing Track
Everybody Lies At Night
Timekiller
Only One
Second Voice
Uns Geht’s Gut
Recover You
Secret Boy
Rick
—
Life Isn’t Easy In Germany
Technoman
Für
Shouts Of Joy
Back Home
Wasted
Military Fashion Show
Sometimes
Nordhausen
Klaus
Pimmelmann
Datum: 05.04.2014
Veranstaltungsort: München, Backstage
Ticketpreis: 37,00 Euro
Webseite: http://andone.de/
Webseite 2: https://www.facebook.com/ANDONEoffiziell
Webseite 3: http://www.distain.de/
Copyright Artikelbild: And One
Copyright andere Bilder: !Distain Bandfoto: Distain, And One Tourbanner: And One, Steve Naghavi: Fauna Flokati