Jeden Mittwoch begrüßt der Münchner Rockclub 8below Livebands auf seiner Bühne und bietet somit vielen regionalen und überregionalen Undergroundbands eine Plattform zur Verbreitung ihrer Musik. Zu einem kaum übertreffbar geringen Eintrittspreis von einem, oder, wie an diesem Mittwoch, drei Euro bekommt das Publikum Woche für Woche die Chance, seinen musikalischen Horizont zu erweitern und mit der ein oder anderen Lieblingsband mehr im Herzen nach Hause zu gehen. Am 07. November stand das Konzert im 8below unter einem ganz besonderen Motto: Es war die erste Show im Rahmen des Munich Overdrive. Urväter dieser Idee sind die Münchner Rockband Angsters Inc., die an diesem Abend auch den Posten des Headliners innehatten. Konkret handelt es sich bei Munich Overdrive um einen Zusammenschluss von vier Bands, die unter diesem selbsterfundenen Markennamen Rock N Roll bieten wollen, “wie es ihn nur in München geben kann”, wie sie auf ihrer Facebook-Seite garantieren: “Rock N Roll, der riecht wie der Meischeduft, der von der Augustinerbrauerei über die Landsberger Straße weht, der aussieht wie der Sonnenuntergang hinter der Donnersberger Brücke”.
Wenn man das liest, blüht die Heimatliebe richtig auf – wie Rock N Roll, der den Charakter der bayrischen Landeshauptstadt haben soll, jedoch klingt und ob der Sound die Stadt angemessen repräsentiert, sollten zwei der vier Munich Overdrive – Bands an diesem Abend unter Beweis stellen. Neben den Angsters Inc. haben Lem Motlow, SpitFire und King Vegas besagte Garantieerklärung abgegeben, und am 07. November 2012 um kurz vor 21 Uhr bekamen die Münchner Rockfans im 8below zum ersten Mal von Lem Motlow zu hören, was man sich klanglich unter Munich Overdrive vorstellen kann.
Es waren auch zahlreiche Neugierige erschienen und zum Konzertbeginn lehnte eine stattliche Menge vor allem recht junger Zuschauer an der zentral im Club befindlichen Bar und ließen sich von Lem Motlow in die Anfangszeit der Rockmusik zurück katapultieren: Schon auf ihrer MySpace-Seite steht die Band locker und offen dazu, ganz dem Classic Rock verfallen zu sein und sich an seinen Klischees zu bedienen, und so zelebrierten die jungen Musiker ein Fest getragen von klassischem, von alten Helden inspiriertem Gitarrenspiel, dem melodiösen, rauchigen Rock-Gesang des Frontmannes Toni Sarcinella und einer flinken, fröhlichen Bühnenaktivität inklusive sympathischer Publikumsinteraktion. Trotz der Einflüsse aus dem Hard Rock der 70er und 80er Jahre ist Lem Motlow eine moderne Band, die ihre Liebe zum alten Hard Rock mit dem Zeitgeist des 21. Jahrhunderts verknüpft. Damit meine ich keineswegs digital-elektronische Einflüsse oder sonstiges, das Line-Up besteht hier völlig klassisch aus zwei Gitarristen, einem Bassisten, einem Drummer und einem Sänger, aber irgendwas in der Musik von Lem Motlow schreit: Classic Rock ja, aber anno 2012. Der Gitarrist der Band hatte übrigens mit seiner Aussage völlig recht: An einer Bar lehnend ein Konzert zu beobachten hat einfach etwas unglaublich Cooles. Dies war auch der Grund, weshalb die Band dem Publikum die (für München typische) Leere der ersten Reihe verzieh, wobei sicherlich auch die Tatsache nicht unerheblich war, dass abgesehen von der leeren ersten Reihe eine sehr gute Stimmung herrschte.

Lem Motlow rocken ab.
Zum Ende des Auftrittes von Lem Motlow erwartete das Publikum außerdem ein kleines Special: Der Gitarrist der Band SpitFire, wie erwähnt ebenfalls bei Munich Overdrive mit von der Partie, der das Konzert im Publikum stehend verfolgt hatte, übernahm im letzten Song die Gitarre für ein ausgiebiges und fetziges Solo.
Bis hierher konnte man schon mal feststellen: Munich Overdrive klingt traditionsbewusst, aber dennoch modern und cool. Damit sind einige wichtige Charaktereigenschaften der Großstadt schon mal gut repräsentiert.
Kurz vor 22 Uhr betraten dann die Headliner des Abends und Gründerväter von Munich Overdrive, die Angsters Inc., die Bühne. Ein schicker Stilmix aus Business und Rock, Sänger Dok Martin in Jeans und Sacko, Gitarrist Janes im Bowler Hut (wie in früheren Berichten erwähnt, bin ich im Bereich Kopfbedeckungen nicht bewandert und es könnte auch sein, dass der Hut anders heißt) und Drummer Mr. Berns im weißen Hemd und schwarzer Weste, verlieh den attraktiven Musikern einen feinen und edlen Touch, der mit dem verruchten Rocksound eine schön antithetische Symbiose einging.
Wuchtig und rau begann das Konzert mit dem Song “Rejected”, den manche Leute vielleicht, sofern sie die musikalische Vorgeschichte des Frontmannes miterlebt haben, als etwas dunklere und schwerere Gothic Rock Version seiner ehemaligen Band Beyond The Void kannten. Zwar war ich persönlich von dem Charakterwechsel des Songs nicht 100%ig überzeugt, vermutlich, weil ich als jahrelanger und sehr großer Beyond The Void Fan diesbezüglich etwas faschistisch eingestellt bin, doch ist meine Meinung aus eben diesem Grund kein guter Maßstab. Meine deutlich objektivere Freundin Betti jedenfalls fand den Song gut.
Dynamisch und energiegeladen spielte sich die Band durch ihr ca. einstündiges Konzert, Highlights waren zum einen das verbittert-enttäuschte und dennoch irgendwie beherrscht-coole Liebeskummer-Lied “(Ceci n’est pas una) Serenada (Bitch!)”, das Frontmann Dok Martin zwar als tieftraurig ankündigte, was aber, vor allem durch die irgendwie spanisch klingenden Gitarren, einfach diese lässige Rock-Sau Attitüde hat, die dem Song seine Traurigkeit zumindest bis zu einem bestimmten Grad nimmt. Weiterhin machten das verrucht-dreckige “I Don’t Party” mit seinen nach vorne schiebenden, tiefen Gitarrenriffs, das in humorvoller Art mit Rockstar-Klischees spielt und vor allem die mitreißende Ballade “Phoenix Skies” mit seiner melancholisch-verträumten Gitarrenmelodie und seiner dramatischen Kunstpause live eine super Figur. Sowohl beim Gesang, als auch beim Gitarre- und Bassspiel wechselten sich Dok Martin und Janes regelmäßig ab.
Dafür, dass der Headliner auf der Bühne stand, war das Publikum in seiner Gesamtheit zwar etwas verhalten, doch glich eine Gruppe ausgelassen tanzender Fans dies aus, indem sie eine große Party aus dem Konzert machte. Die Verhaltenheit des Publikums war aber trotzdem recht schade, vor allem deswegen, weil man den Angsters Inc. schon noch anmerkt, dass sie eine Band sind, die, trotz jahrelanger Bühnenerfahrung und Professionalität der einzelnen Bandmitglieder, in eben dieser Konstellation noch nicht viele Konzerte gespielt hat, doch im Laufe des Konzertes hatten die Musiker die letzten Unsicherheiten beseitigt und fetzten erst gegen Ende so richtig los. Mit mehr Enthusiasmus seitens des Publikums wäre das vielleicht schneller gegangen.

Doc Martin singt Songs über die "wahre Liebe" - nach Definition der Angsters Inc. natürlich.
So waren die Angsters Inc. zum Zeitpunkt ihrer Zugabe, einem neuen Song über “die wahre Liebe”, so Frontmann Dok Martin, dann doch noch fast vollständig aufgetaut. Wer dann aber mit einer kitschigen Rockballade rechnete, hatte sich schwer getäuscht, denn ein Song über die wahre Liebe ist im Sinne von Munich Overdrive ein hemmungsloser Rocksong über Bondage-Spiele. Um der Erotik des Konzertabschlusses noch zum Höhepunkt zu verhelfen, fielen auf der Bühne die Hüllen und Dok präsentierte dem Publikum quasi als Abschiedsgeschenk seinen makellosen Oberkörper – vermutlich um die Phantasie der Zuschauer angesichts der Songthematik noch etwas anzuregen, bevor er sie auf den Heimweg schickte.
Munich Overdrive klingt also auch noch sexy. Passt ebenfalls zur Stadt. Welche Münchner Charaktereigenschaften werden die Munich Overdrive Bands noch klanglich umsetzen, und werden sie vielleicht ganz neue, bisher unentdeckte Charaktereigenschaften aus der Landeshauptstadt hervor spielen? Die Zukunft wird es zeigen, das erste Konzert der Munich Overdrive Truppe war auf jeden Fall vielversprechend und die Münchner Rockszene kann sich schon auf die Weitentwicklung und weitere Konzerte des Projekts freuen.
Datum : 07.11.2012
Veranstaltungsort :München, 8below
Ticketpreis :3 Euro
Copyright Artikelbild: Angsters Inc.
Copyright andere Bilder:Fauna Flokati