Der Comicautor Alan Moore gilt als einer der Großmeister des modernen Comics und seine Werke “V wie Vendetta“, “Watchmen“, “From Hell“ und “Liga Der Außergewöhnlichen Gentlemen“ waren allesamt große Erfolge, die zudem aufwendig verfilmt wurden. Auch sein aktuelles Werk “Providence“, das sich mit den Horror-Welten von des Schriftstellers H. P. Lovecraft befasst, gilt schon jetzt als weiterer Meilenstein des Top-Autors. In meinem Test zu “Providence“ Band 1 zeige ich euch auf, warum es ein Meisterwerk ist, aber auch warum es genau das auch wiederum nicht ist:
Inhalt
Im Jahre 1919 recherchiert der Autor und Reporter Robert Black, mehr aus eigenen Bewegründen um sein Buch zum Thema “Okkultismus im verborgenen Amerika“ schreiben zu können und weniger um einen Artikel für die Zeitung “New York Herald“ seines Arbeitgebers zu erstellen, Informationen zu einem mysteriösen Buch mit dem Titel “Sous Le Monde“, bei dessen Lektüre scharenweise die Leser den Verstand verloren haben sollen. Die Suche führt Robert zu Dr. Alvarez, welcher an einer Krankheit leidet, die ihn dazu zwingt die Temperatur seiner Wohnung mittels einer selbst konzipierten Kühlanlage stark zu senken. Doch der Besuch beim ungewöhnlichen Doktor ist nur die erste von vielen mysteriösen Stationen, die Robert Black schließlich in die Stadt Providence in Rhode Island führen, wo der kluge Reporter immer mehr an seinem gesunden Verstand zweifeln muss…
Lovecraft Horror (mild Spoiler)
“Providence“ Band 1 ist in mehrerer Hinsicht ein schwieriger Fall. Das Comicwerk ist nicht einfach zu bewerten, nicht einfach zu lesen und um die Leistung von Alan Moore überhaupt erst zu verstehen zu können, benötigt man eine Erklärung, die uns der Comic zum Glück auch im Anhang in Form eines Textes von Antonio Solinas liefert. “Providence“ ist eine Hommage an die Werke von H. P. Lovecraft und besteht aus einer Aneinanderreihung seiner Werke. Die große Leistung von Alan Moore besteht darin, dass man das als Leser nicht im Geringsten merkt, besteht “Providence“ doch aus einer Gesichte um den Reporter Robert Black. Dieser gelangt aber im Laufe der Handlung an verschiedene Orte und was dieser dort erlebt ist stark von einzelnen Werken Lovecrafts inspiriert. Hier ein Beispiel: Im Auftakt von “Providence“ begegnet Robert Black dem zurückgezogen lebenden Dr. Alvarez, der seine Wohnung in einen Kühlschrank verwandelt hat um seine Krankheitssymptome zu lindern (Dr. Alvarez sehen wir übrigens auf dem Cover). In H. P. Lovecrafts Kurzgeschichte “Kühle Luft“ geht es genau um diesen Doktor, der dort aber Dr. Munoz heißt, aber praktisch ein und dieselbe Figur darstellt. Nur ist in “Providence“ die Kurzgeschichte “Kühle Luft“ als Teilstation in eine deutlich größere Handlung eingebaut worden. Auf diese Weise vereint Alan Moore auch weitere Geschichten und Elemente aus den Geschichten des Horror-Autors H. P. Lovecraft zu einer neuen Geschichte.
Der Horror in “Providence“ ist ähnlich dem Horror Lovecrafts eher schleichend und subtil, wobei manchmal als “Finale“ auch echt schockierend-brutale Sequenzen vorkommen. Lovecrafts Horror ist trotz seines Alters sehr modern und funktioniert auch heute noch einwandfrei. Nur sollte man sich auch auf den Stil einlassen, denn der Horror muss im Kopf erst nachwirken und geschieht hier nicht immer durch Gewalt und Gemetzel, sondern durch angedeutete, mehr als grenzwertige Szenarien. Lovecrafts typischer Fisch-Horror, der auf dem Cthulhu-Mythos fußt, ist natürlich auch enthalten und wird in “Providence“ auch gut umgesetzt.
Da bröckelt der Putz ab
Einen schwerwiegenden Fehler begeht “Providence“ jedoch in Form der Textpassagen. Versteht mich nicht falsch, ich mag Textteile in Comics sehr gerne, denn diese wurden im modernen Comic sogar schon öfter eingesetzt und können den Comic sehr bereichern. Gelungene Beispiele finden wir in den Comicreihen “Fables“ und “Fairest“ von Bill Willingham. Nur bei “Providence“ fallen diese Passagen extrem lang aus und zerstören somit den Lesefluss beim Genuss des Comics. Die Texte sind zum Teil auch dermaßen langatmig und überweise zum Teil sogar langweilig, dass das Weiterlesen zur Herausforderung wird. Seitenlange Stammbäume, deren Erläuterung keinen Mehrwert für die Geschichte bieten, hätte man weglassen sollen. Die Textteile, in denen aber Gefühle und Ereignisse aus den Comicparts genauer beleuchtet werden und zum Teil erst dann ihren wahren Horror ausfalten können, sind eine perfekte Bereicherung. Nur leider ist dies nicht bei allen Textteilen der Fall, die etwa ein Drittel von “Providence“ einnehmen.
Ein weiteres Problem ist die durch die Aneinanderreihung der vielen komplexen Geschichten entstandene Überladung an mystischen Inhalten. Da in jedem Teil von “Providence“ andere Inhalte entweder aus dem Bereich des Okkultismus oder Howard Philips Lovecrafts Geschichten und seinem Cthulhu-Mythos vorkommen, sieht sich der Leser mit vielen unterschiedlichen Inhalten konfrontiert, die zum Teil nichts mit der Hauptgeschichte zu tun haben. Für mich als Kenner diverser Inhalte aus diesem Bereich war es möglich die einzelnen Inhalte zu separieren, doch für jemanden, der sich nicht intensiv mit diesen magischen und okkultistischen Themen befasst, wird das Verständnis von “Providence“ erschwert.
“Providence“ ist also ein Comic für fortgeschrittene Leser, den je mehr man sich mit den Inhalten auseinandersetzt (was durchaus auch erst im Nachhinein geschehen kann), desto mehr profitiert man davon und lernt erst zu schätzen, welches komplexe Comickonstrukt Alan Moore hier erschaffen hat.
Zeichnungen
Jacen Burrows Zeichnungen sind sehr detailliert und reichhaltig ausgestaltet. Auch die Hintergründe strotzen geradezu von die einzelnen Bilder bereichernden Elementen. Mir persönlich wirken die Bilder etwas zu steril, da man die ursprünglichen Skizzen nicht mal mehr im Ansatz erkennt. Das muss man Jacen Burrows aber eigentlich zu Gute halten und viele Leser bevorzugen auch diese saubere Art der Bildgestaltung. Auch die Koloration ist sehr sauber und zeigt nur leichte Schattierungen. Mir wäre ein etwas düsterer, schmutzigerer Stil lieber gewesen, aber das ist wirklich nur persönliche Präferenz und keine negative Kritik an der graphischen Ausgestaltung, die wirklich sehr gelungen und aufwendig ist.
Zwei Elemente in Jacen Burrows Zeichnungen in “Providence“ Band 1 sind mir besonders positiv aufgefallen: Die oft aufwendige Perspektive und die Darstellung des Horrors. Kommen wir zunächst zur Perspektive, mit der Jacen Burrows als talentierter Künstler in der Lage ist frei herumzuspielen und zu experimentieren, etwas an das sich viele andere Comiczeichner nicht herantrauen würden. Jacen Burrows verwendet in bestimmten Szenen sehr ungewöhnliche Blickwinkel um auf die Szenerie zu blicken. So sehen wir beispielsweise den Protagonisten, wie er gerade ein Buch zerreißt und sich uns in der entstehenden Lücke eine Stadtszenerie aufbaut. Oder wir sehen eine Figur auf der Straße laufen und das aus verschiedenen Perspektiven, mal aus üblichen Blickwinkeln, aber dann auch von ungewöhnlichen Stellen, wie Mitten auf einem Dach, wobei das halbe Bild dann von den Dachziegeln verdeckt wird. Der Effekt, der dabei entsteht ist schon ein bisschen gruselig, denn man könnte ihn durchaus damit interpretieren, dass man das Geschehen aus den Augen eines ungewöhnlichen Beobachters, nicht menschlicher Statur, beobachtet und von z.B. “unter dem Bett heraus“ auf das Geschehen blickt.
Auch die zweite große Leistung Jacen Burrows betrifft das Grauen, das auch in den Werken von H. P. Lovecraft oft schleichend herantritt, dann aber in einem kurzen Moment schockt. Und genau das vermitteln auch die Zeichnungen von Jacen Burrows, die eine unangenehme Grundatmosphäre schaffen und dann mit einem plötzlich auftauchenden Schock-Bild erschrecken. Der Effekt klappt zwar nicht immer, aber die Wirksamkeit richtet sich natürlich auch nach der Sensitivität des jeweiligen Lesers.
Ebenfalls gelungen ist die Technik, Handlungsrückblicke in monotonem Hellbraun zu färben, um zeitlich unterschiedliche Abschnitte leicht erkennbar zu machen.
Der Comicband
“Providence“ Band 1 erscheint im Format 17,2 x 1,2 x 26,6 cm als Softcover. Die 176 Seiten weisen eine gute Druck- und Papierqualität auf. Im Anhang finden wir zudem eine Covergalerie sowie ein Nachwort von Antonio Solinas mit detaillierten Informationen zum Werk. Eine Seite mit Informationen zum Autor Alan Moore und dem Zeichner Jacen Burrows vervollständigt den Comicband. Der deutsche Sammelband “Providence“ Band 1 enthält die in den USA ursprünglich einzeln verkauften Originalausgaben “Providence“ # 1-4.
Fazit
Ein geniales Konzept und ein gelungenes Skript, sowie diverses Fachwissen zu den Werken von H. P. Lovecraft, verbergen sich hinter Alan Moores “Providence“, nur bei der Ausführung zeigen sich ein paar Probleme. Genial, holprig und überladen, all das ist der erste Band der neuen Horror-Comicreihe “Providence“.
Verlag/ Label: Panini Verlag
Autor: Alan Moore
Veröffentlichung: 09.12.2015
Seitenzahl: 176
ISBN: 978-3957985712
Altersfreigabe: ab 18 Jahren
Webseite: http://www.paninishop.de/artikel/providence-1
Webseite 2: Amazon
Webseite 3: https://www.facebook.com/OfficialAlanMoore/
Copyright Artikelbild: Panini Verlag, Jacen Burrows
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