Eine frohe Botschaft schickt uns das Projekt “At Sea Compilations” mit seinem digitalen 2-CD-Release: Deutscher Gothic soll also nicht tot sein – anders, als viele vor allem langjährige Szenegänger angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre häufig behaupten. Als Beweis gibt es 30 Songs verschiedener Musiker aus dem deutschen Gothic Underground.
“At Sea”-Gründer Axel Meßinger, der das Projekt 2013 ins Leben rief, bietet Künstlern eine Plattform, die abseits des Gothic Mainstream wirken und möchte zugleich natürlich auch jenes musikhungrige Publikum glücklich machen, welches weiß, dass es Bands gibt abseits von Eisbrecher, Mono Inc. und ASP, die ganz anders klingen als diese kommerziell erfolgreichen Spitzenreiter der Szene. Ich möchte nicht sagen nach “echtem” Gothic, denn was “echter” Gothic ist, darüber wird es niemals Einigkeit geben – aber jedenfalls werden hier hauptsächlich Richtungen bedient wie Dark Wave, Gothic Rock, Dark Punk oder Synthie Pop.
Nach langem Überlegen, wie ich dieses Review gestalte, habe ich beschlossen, euch jedes Stück einzeln vorzustellen und das Review deshalb in zwei Teile aufzusplitten, entsprechend der Aufteilung des Samplers in CD 1 und 2. Wem das zu viel Gelaber ist, der liest einfach jeweils nur den letzten Absatz oder lädt sich gleich den Sampler runter, denn wer die erwähnten Genres mag und sich nach interessanten Musikern aus diesen Bereichen sehnt, kann eigentlich nichts falsch machen. Hier könnt ihr euch den Sampler kostenlos runterladen.
Teil 1 von “German Gothic Isn’t Dead” beinhaltet folgende Stücke:
Den Anfang machen Shadowplay mit dem Song “Out Of Control”, ein Dark Wave Stück wie es im Buche steht. Mittleres Tempo, stark verzerrte Gitarren, ein Fokus auf tiefen Tönen, ein Frontmann mit ruhiger, nur wenig emotionaler Stimme, aber dafür umso verzweifelten Textzeilen, ein tanzbarer Rhythmus und ein paar atmosphärische Keyboard-Klänge. Für jemanden, der Dark Wave mag, lässt dieser Song nichts zu wünschen übrig. Ich persönlich denke an Les Fleurs Du Mal, die ich mal vor einigen Jahren reviewt habe.
Track Nummer zwei kommt von der Band mit dem äußerst kryptischen Namen Xylonite Ivy (merkt euch das für die nächste Runde Stadt Land Fluss, wenn ihr gegenüber all jenen Punkte absahnen könnt, denen nur Xavier Naidoo, Xzibit oder gar nichts einfällt). Der Song heißt “Wonderful Ring” und ist ein ziemlich epischer Gothic Rock Song – oh je, ich wurde sogar echt melancholisch und nostalgisch! Früher hab ich so gern Gothic Rock gehört und dieser Song erinnert mich auch daran, warum: Der Song baut im seinem Intro mit kreischenden Gitarren, epischen Keyboards, eingängigen Riffs und einem markanten Schlagzeug viel Spannung auf, man freut sich darauf, endlich die Stimme der Band zu hören und wird nicht enttäuscht. Sie ist expressiv, tief, melodisch und gehört aber übrigens einer Frau, was nicht gerade selbstverständlich im Gothic Rock ist. Der ganze Song inklusive mehrerer kleinerer Tempowechsel wirkt schwebend und leicht, zugleich aber, vor allem beim Gitarrensolo am Ende, auch düster und dramatisch. Ein echt toller Song. Ich sollte mir von der Band mal mehr geben und jetzt mal zu meinem Schrank spazieren und mal wieder ein paar Gothic Rock Alben durchhören!
Der dritte Song auf dem Sampler stammt von Bodanegra feat. Rio Black und trägt den Titel “Seide” – ein deutschsprachiges Stück also. Schon wieder haben wir mit Rio Black einen Sänger mit ruhiger, angenehmer und tiefer Stimme. Das Stück ist mit seinen lieblichen E-Gitarren und seiner eingängigen Melodie verträumt, die tiefen Klavierakkorde tragen eine melancholische Note bei. Ein schönes, unaufregendes Lied zum Nebenbei-Hören, für den gemeinen Goth sowas wie Nickelback für den Durchschnittsmenschen :).
Als nächstes kommt dann The Past Made Us One mit “The Quest”. Eine Frau mit tiefer Stimme singt zu Synthesizern von orchestral-dramatisch bis lieblich und verspielt. Wir haben wieder jede Menge Melancholie und Eingängigkeit, wieder einen Song, der angenehm zu hören ist, aber jetzt keine Welten bewegt.
Noch elektronischer wird es mit “Astra” von Jennifer Touch, einem Stück, das in Richtung Cold Wave geht. Der Song ist flott und fällt nicht nur durch seine abstrakten, teils sphärischen Klänge und den ähnlich gearteten Gesang auf, sondern auch durch seinen abgehackten Rhythmus.
Im Song “Earth We Walk Upon” von Salvation AMP mag ich vor allem die markante Bassline, zu der der Frontmann mit seiner tiefen Stimme auch super passt. “Guitar Wave” nennen die drei Musiker ihre Musik und das trifft es super, da man den typischen Wave-Charakter – Melancholie, Reduziertheit und Kühle – zweifelsohne vernimmt, zugleich haben wir aber, anstelle der sonst oft typischen Synthies, ein eingängiges und wirklich vordergründiges Gitarrenspiel, das dem Gesang nicht unbedingt die Show stiehlt, aber sie definitiv mit ihm teilt (macht aber gar nichts, kommt nämlich beides von derselben Person!)
Ähnlich gitarrenlastig, aber etwas flotter geht’s weiter mit “Give Out Of Hand” von dem Goth Rock Duo The Shallow Graves. Eine Melodie zieht sich hier durch die E-Gitarre, die sich wirklich festfrisst. Ansonsten finde ich, dass sich der Song ganz gut in die bisherige Tracklist einreiht, ohne besonders hervorzustechen. Klingt aber angenehm – einfacher Rhythmus, tiefe Männerstimme, eingängige Melodie. Passt.
Bei “Tell Me” von Inmost Silence horche ich dann wieder auf – dieses Lied ist eines der kraftvollsten bisher, sowohl was die dynamischen Gitarrenriffs, als auch die klare und starke Frauenstimme und die abwechslungsreiche Melodie, die sie uns darbietet, angeht. Ein bisschen Variation gibt’s auch im Tempo, was ich im Gothic Bereich ja öfter mal vermisse. Schließlich leistet auch das Keyboard einen wichtigen Beitrag und liefert geheimnisvolle, vielleicht sogar sowas wie orientalische (?) Töne – sie klingen jedenfalls fremd und interessant und geben dem Song einen sonderbaren Anstrich.
Eine sanfte Pianoballade ist “The Secret Room” von Silentport. Durch den sehr leisen, minimalistischen Einsatz des Klaviers und zaghafter Synthieklänge wirkt das Stück verletzlich, durch den starken Fokus auf den angenehmen männlichen Gesang sehr intensiv, und dann noch diese fesselnde Melodie. Augen zu und genießen – das ist ein echt schöner Song.
In recht ähnlich zaghaftem, sanftem und minimalistischem Stil, nur mit komplett elektronischer Untermalung, geht es weiter mit “From The Beginning” von Yendri. Man kann also die Augen eigentlich gleich geschlossen halten und entspannt weiterlauschen.
Die Band Dusk To Dawn klingt dann eher wieder wie die ersten Bands des Samplers und erinnert mich entsprechend auch wieder an die schon erwähnten Les Fleurs Du Mal, vielleicht mit etwas mehr Fokus auf die Elektronik. Das Stück “Sole Survivor” ist flott und tanzbar, gespickt mit verspielten Synthesizern und mal wieder fehlt auch ein typischer Dark Wave Frontmann nicht – tiefe und angenehme Stimme, kühler Gesang.
Dann kommen die Gruftschlampen mit dem Song “Dead Generations”, der genauso verrückt ist wie der Bandname. Die Sängerin singt betont theatralisch und auch irgendwie verrückt, und übrigens in deutscher Sprache über die Kälte der Gesellschaft. Die Sounds sind chaotisch, durcheinander und einfach irgendwie durchgeknallt und ergänzen den Gesang so natürlich perfekt. Ein bisschen too much für mich, aber sicherlich ein interessantes Stück. Die Bezeichnung “Dark Punk” passt jedenfalls super.
Demselben Genre schreibt sich selbst Dan Scary zu, und auch zu seinem Song “Maschinenmensch” passt es gut, besonders zum kritischen Inhalt, über den der Titel des Stücks wohl schon alles sagt. Ansonsten ist das hier eine rhythmisch recht monotone Angelegenheit, die Gitarre klingt kühl, der Gesang roboterartig. Man muss dem Künstler lassen, dass auf jeden Fall alles stimmig ist, auch wenn das Stück auch entsprechend sperrig ist und mit Sicherheit andere Songs auf diesem Sampler einfacher zu hören sind.
Zum Beispiel das, was danach kommt, und zwar “Visions” von Aeon Sable, was wieder eingängiger Goth Rock Song mit Hitpotenzial in den (“echten”) Gruftieschuppen ist. Einen mitreißenden Refrain haben wir hier, der nicht gerade unauffällig an die Sisters Of Mercy erinnert, aber gut, wer orientiert sich nicht an den einschlägigen Genre-Wegbereitern. Der Frontmann kommt hin und wieder aus sich heraus und fängt sogar an zu growlen. Ist fast schon befremdlich in einem Goth Rock Song, aber ich mag das. Sonst haben wir die typischen Zutaten…flotter Rhythmus, eingängige Gitarren, sanft-mystische Synthies. Die fast acht Minuten merkt man dem Stück nicht an, will heißen: Es wird nicht langweilig.
Ganz am Ende von CD 1 haben wir noch den “Feuervogel” von NatusSumMori. Und dieses Stück klingt anfangs so, wie die Band heißt. Nach mittelalterlichem Gedudel wie die früheren Faun ihn gemacht haben, aber dann schließt sich ein waschechter Metalfrontmann mit kräftigen Growls der zarten Sängerin an, aus den sanften Dudelklängen wird dynamischer Symphonic Metal mit richtig geilen Tempowechseln und einer spannenden Mischung von Musikinstrumenten. Gesanglich muss ich sogar zeitweise an Dornenreich denken, und das will etwas heißen.
Wahrlich, dass am Ende auch so ein Song seinen Weg auf den Sampler findet, hätte ich nicht erwartet. Auch wenn ich ohnehin schon positiv gestimmt war gegenüber diesem “At Sea” Sampler. Man darf die meiste Zeit halt nichts besonders Aufregendes erwarten, sondern sollte die Songs einlegen, wenn man sich einen ruhigen, kuscheligen Abend machen möchte. Aber ich denke mal, Soundtracks zu genau solchen Anlässen vermissen viele Gothic Anhänger in den letzten Jahren auch, nachdem so laute und wenig atmophärische Genres wie Hellelektro, NDH oder Mittelalter-Rock die Herrschaft zumindest im Mainstream-Gothic Bereich übernommen haben und man wirklich die Augen und Ohren weit offen halten muss, um da noch was anderes zu finden. Da kann man Axel Meßinger eigentlich nur dankbar sein, dass er meinem etwas dabei hilft.
In Kürze erzähl ich euch dann noch etwas über die Songs auf CD 2.
Trackliste
01 Shadowplay - Out Of Control
02 Xylonite Ivy - Wonderful Ring
03 Bodanegra feat. Rio Black - Seide
04 The Past Made Us One - The Quest
05 Jennifer Touch - Astra
06 Salvation AMP - Earth We Walk Upon
07 The Shallow Graves - Give Out Of Hand
08 Inmost Silence - Tell Me
09 Silentport - The Secret Room
10 Yendri - From The Beginning
11 Dusk To Dawn - Sole Survivor
12 Gruftschlampen - Dead Generations
13 Dan Scary - Maschinenmensch
14 Aeon Sable - Visions
15 NatusSumMori - Feuervogel
Verlag/ Label: At Sea Compilations
Veröffentlichungsdatum: 00.06.2015
Webseite: http://at-sea-compilations.de/
Webseite 2: https://atseacompilations.bandcamp.com
Copyright Artikelbild: At Sea Compilations
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