Nachdem ich euch kürzlich den ersten Teil der “At Sea Compilations”-Veröffentlichung “German Gothic Isn’t Dead” vorgestellt habe, widme ich mich heute der zweiten CD, die auch wieder 15 Titel von deutschen Musikern aus der Gothic Szene enthält. Während jedoch Teil 1 sich hauptsächlich auf eingängige und melodische Stücke aus dem Gothic Rock und Dark Wave Bereich konzentrierte und wir als Hörer viele Gitarrenriffs vernehmen durften, geht es nun auf CD 2 ein wenig abstrakter, elektronischer und minimalistischer zu, Genres wie Dark Ambient, Cold Wave, Post Punk dominieren. Hier könnt ihr euch den Sampler “German Gothic Isn’t Dead” kostenlos herunterladen.
Der erste “Song” ist von Das Blaue Zimmer, nennt sich “Tunkal” und ist genau genommen eigentlich überhaupt kein Song, sondern sowas wie eine…naja…”akustische Darbietung”. Ich nenne das so, weil zwar etwas akustisch dargeboten wird, aber ansonsten alles fehlt, was ein Song normalerweise so hat. Zum Beispiel Instrumente. Oder Gesang. Diese Darbietung hier ist komplett gesprochen und erinnert an ein Hörbuch. Begleitet wird das alles von sehr, sehr reduzierten sphärischen Klängen. Sehr naheliegend, dass man sich da natürlich auf den Text konzentrieren soll (etwas anderes gibt es ja auch nicht). Worum es geht, kann man nicht so wirklich sagen, denn wir ihr euch denken könnt, ist die Sprache hier sehr lyrisch und abstrakt, und man hat das Gefühl, der Mann hier redet von etwas, in das man selbst einfach nicht involviert ist. Ein Beispiel gefällig?
“Wir spielen November mit Wasser und Zweigen, träumen uns an den Kissen stumm. Dem Morgen graut vor uns.”
So ganz ohne Kontext gibt mir das Stück jetzt erstmal nichts, er irritiert mich eher. Ich glaube auch nicht, dass diese “Wort-/Klangkunstformation” erwartet, dass sich jemand in diese Darbietung verliebt und sie rauf und runter hört. Ich glaube eher, dass einige Leute hier neugierig werden könnten, was es mit diesem “Tunkal” auf sich hat, und auf die Suche nach mehr von dieser Formation gehen. Falls jetzt übrigens jemand an Goethes Erben dachte, ja, daran musste ich auch denken, nur ist Das Blaue Zimmer noch “seltsamer”.
Na gut, weiter geht’s etwas, aber nicht viel weniger abstrakt mit “Overture” von Antichrisis, was denke ich in die Dark Ambient Schiene gehört. Sehr (atmo-)sphärisches elektronisches Stück, anfangs sehr dezent, später kommt eine Melodie dazu, die nach etwas klingt, das sich wie verzerrte Geigen anhört. Am Ende kommen noch unheimliche Trommeln dazu und das Stück endet wie ein Zusammenbruch oder Ähnliches. Ich denke, hierauf muss man sich wirklich einlassen, ich persönlich bin solche Musik jetzt unbedingt gewohnt und tu mich schwer. Aber wenn man die Augen schließt und einfach zuhört, tauchen ganz lebendige Bilder vorm geistigen Auge auf. Was seht ihr? Ich seh eine kahle Wüstenlandschaft, in der sich langsam etwas Lebendiges regt und schließlich aufzubegehren beginnt. Da das Stück “Overture” heißt, ist das bestimmt der Auftakt zu einem Album und kommt auch erst innerhalb eines Kontextes richtig zur Entfaltung.
Bei “Pure” von Paar gibt’s wieder richtige Beats und Melodien. Eine Frau mit tiefer und monotoner Stimme singt zu den kühlen und dunklen Klängen, Cold Wave also, aber lebhafter als manch ein Genre Kollege. Irgendwie erinnert mich das Stück auch ein bisschen einige Stücke von Diva Distruction.
Mit “Shiver” von Lotus Feed kommt endlich mal ein wenig Bewegung in den zweiten “German Gothic Isn’t Dead”-Teil. Den Gesang dieses post-punkigen Songs finde ich etwas merkwürdig, ansonsten ist er schnell, abgehackt, wenig eingängig und etwas chaotisch, aber Post Punker wird er glücklich machen.
Richtig schön basslastig geht es weiter mit “NYX” von LisaWars. Ein irreleitender Künstlername, denn die Person, die hier singt, heißt bestimmt nicht Lisa, die hat nämlich zweifelsohne eine männliche Stimme. Gothic Punk Rock nennt sich das Ganze, und das passt auch zu dem kurzen Track, der einen irgendwie rotzigen und chaotischen Charakter hat.
Ben Bloodygrave macht “Synthpunk” und “Wavecore”. Der Song “Modern” ist ein sehr eingängiges Midtempo-Elektrostück mit einem sehr seltsamen, vermutlich gesellschaftskritischen Text. Vor allem, dass er als Dialog aufgebaut ist, hinterlässt den Hörer mit einem Stirnrunzeln, weil er nicht genau weiß, was das soll. Vielleicht hätte man den Text auch auf die Hälfte reduzieren können? Vielleicht hat das aber auch einen tieferen Sinn. Ich persönlich finde den Song auf jeden Fall hauptsächlich irgendwie lustig, das soll aber wirklich nicht höhnisch gemeint sein.
“Der Lauf” von Burntime feat. Johannes Berthold hat einen sehr “gruftigen” Text über den “dunklen Mensch”, der still dasitzt, nachdenkt und sich wie ein Experiment fühlt. Interpretiere hier der Hörer seine Vorgeschichte wie er möchte! Auch musikalisch ist das eine recht düstere Angelegenheit. Cold Wave würde ich das hier nicht nennen, dafür ist der Song doch zu lebhaft, aber trotzdem dominieren schon zweifelsohne Monotonie und Minimalismus.
{fraktal} liefert mit “The Emptiness” einen atmosphärischen Tanzsong für den schwarzen Discobesuch. Oh, war ich lang nicht mehr tanzen. Bei dem Song kriegt man echt Lust dazu. Der Rhythmus ist gleichmäßig und unkompliziert, man kann sich also problemlos beim Tanzen in seine Träume vertiefen ohne daneben zu treten. Die düsteren Synthieklänge sind auch einfach gehalten, bekommen es aber wirklich super hin, dem Stück einen wunderschön atmosphärischen Anstrich zu verpassen. Dann gibt’s noch zweistimmigen Gesang von einem Sänger und einer Sängerin, beide mit angenehmen, ruhigen Stimmen. Mein Lieblingssong von Teil 2 bisher!
Eine sehr düstere und gruselige Atmosphäre ist auch bei “Mauer Des Schweigens” von Monowelt gegeben. Die düsteren Synthiesounds dieses ruhigen Stücks gefallen mir gut, den Gesang finde ich irgendwie seltsam, sowohl die Klangfarbe der Stimme als auch die Tatsache, dass die Sängerin so sehr nuschelt, dass man kein Wort versteht.
Interessant geht es weiter mit “Perfume Well” von Box And The Twins. Der Gesang ist bei diesem elektronischen Stück sehr zart, eine hohe Frauenstimme haucht die Worte geradezu. Begleitet wird sie von tiefen Streichern, hohen, flötenähnlichen Tönen – all das auf seltsame Weise verzerrt, und einem monotonen, gleichmäßigen und gemäßigten Rhythmus.
Ich freu mich darüber, im nächsten Song endlich mal wieder fesche E-Gitarren zu hören, die mit eingängigen und stark verzerrten Melodien ein ganzes Lied durchziehen – “Transition” ist ein Gothic Rock Song von der Band Love’s Labour’s Lost. Recht ruhig im Tempo, ein markanter Bass, eine tiefe Männerstimme, stellenweise sogar zweistimmiger Gesang und dann natürlich diese tolle Gitarre. Ein schöner Song.
“1000 Wünsche” von der Band DoNotDream ist ein tragischer Gothic/Symphonic Metal Song. Die Kombination der zarten Sopran-Stimme einer Frau mit rauen, männlichen Metal-Vocals ist sicherlich alles andere als neu, aber funktioniert einfach immer wieder. Dazu noch ordentliche Riffs, orchestrale Sounds und ein gruseliger Text und fertig ist ein Stück, mit dem man nix falsch machen kann.
Mit Staub und ihrem Song “Bring Back The Time” geht es ähnlich episch weiter. Das melodiöse und traurige Keyboard fesselt den Hörer von Anfang an und zieht sich wie ein roter Faden durch das Stück, dann kommen schwere Riffs und kraftvoller Gesang dazu, der im Refrain den Höhepunkt seiner Eingängigkeit erreicht. Gothic Rock vom Feinsten und ein Ohrwurm schlechthin!
Die nächste Band Morlas Memoria sind keine ganz Unbekannten hier auf Raben Report, hat mein Kollege Alex doch letztes Jahr ihr Debütalbum “Follow The Wind” in unserem Vorgänger-Magazin reviewt. “Ohne Probe” ist eine sanfte Ballade, die die Sängerin der Band und ihre professionelle Sopranstimme absolut in den Vordergrund stellt. Ein düsterer und langsamer Rhythmus sowie dezente Klavierakkorde begleiten sie. Sehr schön ist dann das wunderschöne akustische, wenn auch sehr kurze Gitarrensolo. Mal wieder ein Song zum Augenschließen und Träumen.
Den Abschluss von “German Gothic Isn’t Dead” CD 2 machen Saeldes Sanc mit “Tandaradei” – wonach klingt das? Mittelalter? Richtig! Der Anfang dieses Stücks ist langsam und ganz schön, eine Ballade mit mittelalterlichen Instrumenten eben, wie man sie kennt und nichts dagegen einzuwenden hat. Aber dann wird das Stück schnell, chaotisch, Klänge werden übereinander gelegt, Zeilen wiederholen sich und alles wird irgendwie hysterisch und fängt an, mich wahnsinnig zu machen – Ahhh!! Erst am Ende wird es wieder schön und ich frage mich, warum der Mittelteil nicht auch so ruhig bleiben konnte. Die Leute aus der Band singen alle noch zusätzlich zu ihrem Instrument, und höchstwahrscheinlich hat das Chaos tatsächlich eine Ordnung, die ganz schön schwer zu bewahren ist. Aber mir ist das irgendwie zu schräg. Vielleicht bin ich auch nicht genug darin geübt, Mittelaltermusik zu hören ;).
Jedenfalls ist CD 2 von “German Gothic Isn’t Dead” deutlich sperriger und experimenteller als CD 1 und wird vor allem Leute ansprechen, die gerne kühlen Wave, düstere Synthiesounds und solche Sachen hören. Trotzdem lohnt es sich immer, beide CDs herunterzuladen, denn Projektinitiator Axel Meßinger war beim Zusammenstellen der Tracklist schon sehr geschickt und hat trotz unterschiedlicher Schwerpunkte (CD 1 – Gothic Rock, Gitarrensounds, CD 2 – Wave & Post Punk, Elektrosounds) immer auch Songs aus den jeweils anderen und auch ganz neuen Richtungen (wie eben Mittelalter) mit draufgenommen. Mal mich als Beispiel genommen – vieles auf CD 2 ist mir zu seltsam, aber etwa DoNotDream und Staub möchte ich nicht mehr missen.
Nach wie vor halte ich es für sehr lobenswert, deutsche Untergroundkünstler unentgeltlich auf einem Sampler zu vereinen und diesen kostenlos an die Hörerschaft zu verbreiten. Bessere Werbung gibt es quasi nicht. Gerade in Zeiten wie heute, wo man gar nicht mehr weiß, welche der zigtausenden Bands, die sich im Internet selbst zu vermarkten versuchen, man jetzt anhören muss, ist es echt gut, mal ein paar vorgesetzt zu bekommen, aus denen man sich dann seine Lieblinge rauspicken kann.
Trackliste:
01 Das Blaue Zimmer - Tunkal
02 Antichrisis - Overture
03 Paar - Pure
04 Lotus Feed - Shiver
05 LisaWars - NYX
06 Ben Bloodygrave - Modern
07 Burntime feat. Johannes Berthold - Der Lauf
08 {fraktal} - The Emptiness
09 Monowelt - Mauer Des Schweigens
10 Box And The Twins - Perfume Well
11 Love's Labour's Lost - Transition
12 DoNotDream - 1000 Wünsche
13 Staub - Bring Back The Time
14 Morlas Memoria - Ohne Probe
15 Saeldes Sanc - Tandaradei
Verlag/ Label: At Sea Compilations
Veröffentlichungsdatum: 00.06.2015
Webseite: http://at-sea-compilations.de/
Webseite 2: https://atseacompilations.bandcamp.com
Copyright Artikelbild: At Sea Compilations