Der Splitter Verlag gehört zu unseren wichtigsten Medienpartern und die gute Zusammenarbeit hat uns längst zu engen Freunden zusammengeschweißt. Rezensionen zu ihren Werken füllen die Archive von Raben Report, doch auch viele andere Review-Magazine und Onlineblogs sind mit Besprechungen des in Bielefeld ansässigen Verlages prall gefüllt, was auf eine gelungene Presse- und Öffentlichkeitsarbeit rückschließen lässt. Der Splitter Verlag feiert dieses Jahr sein 10-jähriges Bestehen und genau das nehmen auch wir zum Anlass einmal mehr den Splitter Verlag in Form eines Specials zu würdigen. Ich habe mich zu diesem Zweck mit fünf Werken des Verlages beschäftigt, die wir euch in gewohnt ausführlichen Rezensionen vorstellen möchten. Darüber hinaus möchte ich kurz auf die wichtigsten Besonderheiten des Splitter Verlages eingehen. Zu diesem Zweck habe ich auch mit Sven Jachmann vom Splitter Verlag ein Interview geführt, um euch zusammen mit ihm einen ganz exquisiten Einblick ins Verlagsleben bieten zu können. Schnallt euch also an, liebe Leute, denn jetzt gibt’s was ganz Feines zum Lesen:
Der Splitter Verlag
Im Jahre 2006 sicherten sich Delia Wüllner-Schulz, Dirk Schulz und Horst Gotta die Rechte am Namen “Splitter Verlag“, einem Verlag, der im Jahr 2000 Konkurs ging, und bauten diesen in Bielefeld aufs Neue auf. Die ersten Jahre behielt man die Fixierung auf hochwertige, frankobelgische Comicalben bei, erweiterte das Portfolio im Laufe der Zeit aber deutlich. Auch die Anzahl der monatlichen Veröffentlichungen stieg weiter an, so dass man sich mittlerweile bei stolzen 14 Monatsnovitäten eingependelt hat. Zusammen mit dem im Jahre 2010 gegründeten Imprint toonfish, das sich eher an Kinder und Jugendliche mit humorvollen Comicveröffentlichungen richtet, verfügt der Splitter Verlag nun über ein umfangreiches Portfolio, das neben Artbooks auch diverse Besonderheiten enthält, die ihresgleichen suchen. Zu diesen gehören auch die zehn Jubiläumssonderbände, die zum Verlagsjubiläum erscheinen, von denen ich mir persönlich auch schon eines der streng limitierten Exemplare gesichert habe. 🙂 Im Folgenden könnt ihr nun ein Interview lesen, das ich am 31.08.2016 mit Redakteur Sven Jachmann führte:
borbarad666: Hallo Sven, willkommen bei Raben Report! Zunächst einmal möchte ich mich für die gute Zusammenarbeit und auch die Chance für dieses Interview bedanken! Um unseren Lesern einen Einblick in deine Tätigkeit beim Splitter Verlag zu geben, möchte ich dich zunächst einmal bitten kurz deine Position und Tätigkeiten im Verlag zu beschreiben und uns zu sagen, warum du ausgerechnet bei diesem Verlag arbeitest.
Sven: Na ja, der Verlag sitzt in Bielefeld, ich ebenfalls, Bielefeld ist klein, irgendwann musste man sich zwangsläufig begegnen. 😉 Nein, ich hatte, irgendwann 2008, zufällig erfahren, dass sich Splitter in meiner damaligen Nachbarschaft befand und mich für ein Porträt – ich arbeite auch als Kulturjournalist – mit dem Team in Verbindung gesetzt. Aus dem geplanten Vorgespräch wurde ein vierstündiger Plausch und ich trug anschließend bis zum Kinn einen Stapel Comics nach Hause. Muss ich mehr sagen? Ich bin dann als Freelancer eingestiegen, zunächst für Textarbeiten, dann kam Lettering hinzu, ein wenig Lektorat, schließlich noch Social Media, Presse, Marketing, Messen, Programm-Mitgestaltung, Bereiche, die Kollegin Anne Thies und ich teilweise untereinander aufteilen, und natürlich die Redaktion der Infoplattform comic.de. Die Bereiche wuchsen parallel zur steigenden Novitätenzahl, mittlerweile veröffentlicht Splitter ja 14, 15 Bücher im Monat, damals waren es fünf oder sechs. Bei Splitter gibt es keinerlei Hemmungen, große Kunst neben räudigstem Pulp zu platzieren. Diese Selbstverständlichkeit Verfemtes und Verehrtes miteinander zu vernetzen, schätze ich enorm.
borbarad666: Hast du selbst alle (es sind mittlerweile über 1000!) Veröffentlichungen des Splitter Verlages gelesen? Und welche sind deine Lieblingscomics und warum?
Sven: Zumindest alle, die mich interessieren, vielleicht 80 Prozent des Gesamtprogramms. Und darunter befinden sich sehr viele Lieblingskandidaten: Emmanuel Lepages bildgewaltige Comicreportagen („Ein Frühling in Tschernobyl“, „Weiß wie der Mond“, „Reise zum Kerguelen-Archipel“); Francois Bourgeons grimmig materialistische Historienwürfe („Reisende im Wind“, „Gefährten der Dämmerung“); Ingo Römlings und Peter Mennigens Horror-Hommage „Malcolm Max“; realistisch geerdete Western wie „Buffalo Runner“ oder „Deadline“; die liebevollen und auch heute noch recht irrsinnigen „Creepy“-Sammlungen von Richard Corben und Bernie Wrightson; ganz besonders haben es mir auch die amerikanischen Genre-Revitalisierungen angetan („Lazarus“, „Descender“, „Wytches“, „Low“, „Black Science“, mit Abstrichen Chuck Palahniuks „Fight Club 2“); umgekehrt wiederum der Szenarist Wilfrid Lupano, sobald er auf Genre-Forme(l)n pfeift („Ein Ozean der Liebe“, „Die alten Knacker“); Boucqs Gemeinschaftsarbeiten mit dem Schriftsteller Jerome Charyn („Teufelsmaul“, „Die Frau des Magiers“, „Little Tulip“); das schadenfrohe Antimärchen „Garulfo“; Rosinskis Fantasy-Klassiker („Thorgal“, „Die große Macht des kleinen Schninkel“, „Das verlorene Land“); die skurrile Coming-of-Age-Variation „Schloss in den Sternen“ von Alex Alice; Christophe Bec, wenn er den Ton seiner großen Blockbuster-Inspirationen tatsächlich trifft („Heiligtum“, „Prometheus“, „Carthago“, „Vergessene Welten“); Catel Mullers und José-Louis Bocquets Biografie „Olympe de Gouges“; Daniel Schreibers deutsch gewendete Fantasy-Mär „Annas Paradies“; der Liebesbeziehungsstrukturen ausgesprochen böse sezierende Jam-Comic „Sonnenfinsternis“; politische SF-Epen wie „Orbital“, „Nonplayer“ (gut, der ist noch am Anfang), „Urban“ oder die Arbeiten Leos; Walter Hills Neo-Noir „Querschläger“, die Aufklärungssatire im Detektiv-Gewand „Sherlock Fox“; der verspulte Popkultur-Zeichenclash „Freaks‘ Squeele“; ambitionierte Graphic Novels wie „Charly 9“, „Terra Australis“, „Blau ist eine warme Farbe“, „Lulu, die nackte Frau“ oder „Zorngebete“; die Arbeiten Peyos; die die Erzählkrise des frankobelgischen Fantasy-Comics originell reflektierende Fantasy-Serie „Aslak“ oder Gegenmodelle wie „Die gläsernen Schwerter“ oder „Das Narrenschiff“; das Antikriegs-Traktat „Mutter Krieg“ – das kann tagelang so weitergehen. 😉
borbarad666: Der Splitter Verlag setzt im Gegensatz zu einigen anderen Verlagen im Comicbereich auf viele unterschiedliche Comics und kaum auf umfangreiche Reihen. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?
Sven: Einspruch! „Thorgal“ umfasst mit den Spin-Offs über 50 Bände und erscheint weiterhin, die „Schlümpfe“ sind bislang 34-bändig, „Die Legende der Drachenritter“ ist kürzlich beim 20. Album angekommen, von „Storm“ steht der 30. Band an, und Serien wie „Der Dunkle Turm“, „Die Schiffbrüchigen von Ythaq“, „Elfen“, „Comanche“, „El Mercenario“, „Prometheus“, „Die Schiffbrüchigen der Zeit“, „Marlysa“ oder „Benni Bärenstark“ haben den zweistelligen Bereich teilweise schon weit hinter sich gelassen, auch die dicke „Dan Cooper“-Gesamtausgabe ist 12-bändig konzipiert. Gleichwohl man dazu sagen muss, dass die Hemmschwelle besonders umfangreiche Serien und Reihen ins Programm zu nehmen zumindest dann ein wenig größer ist, wenn es sich nicht um etablierte Klassiker oder renitente Marken wie „Die Schlümpfe“ oder auch Stephen King handelt. Das Risiko ist indes ein Stück weit hausgemacht: Weil Splitter programmatisch keine Serien abbricht, will natürlich sehr gewissenhaft überlegt sein, ob eine im Herkunftsland möglicherweise schon 20 Alben fassende Serie auch hier ausreichend Leser/innen findet, um nicht als Verlustgeschäft zu enden. Aber umgekehrt steht grundsätzlich jeder Verlag vor diesem Problem, niemand zieht gerne bei einer laufenden Serie die Reißleine.
borbarad666: Ich stoße bei meiner Tätigkeit immer wieder auf Comicmuffel, die mit dem ganzen Medium rein gar nichts anfangen können. Dabei scheint es mir immer so, dass die Leute entweder gar keine Comics kennen oder nur Vorstellungen alter Comics vor Augen haben und keine Ahnung haben wie sich der Comic im Laufe der Jahre in alle Richtungen weiterentwickelt hat. Geht es dir ähnlich? Und welche Comics würdest du gerade solchen Leuten zum Einstieg in den Comicbereich empfehlen? Ich habe persönlich das Gefühl, dass gerade Comics wie „Melvile“ hier genau das richtige wären, da dieser ähnlich wie ein Film aufgebaut ist und als einer von wenigen Comics überhaupt mit speziellen Extra-Gadgets wie z.B. Augmented Reality aufwartet.
Sven: Ja, ich habe viele ähnliche Eindrücke gesammelt und sehe was die Verbesserung des Rufs des Comics betrifft die Entwicklung zwar zwiegespalten, aber recht optimistisch. Im (Pop-)Kulturbetrieb sind Comics mittlerweile angekommen: Ausstellungen, Feuilletonspalten, manchmal gar -seiten, Museen, Fördertöpfe, Festivals, Preise, Hochschulangebote, gar nicht zu reden von den rasant wachsenden Cons, der Flut an Superheldenverfilmungen – alles da, alles gerät langsam in Bewegung. Das ist ungemein wichtig, damit sich ein normaler Umgang verselbstständigt.
Worauf man heute vermutlich nur noch sehr eingeschränkt setzen kann, ist eine Kindheits- und Jugend-Sozialisation. Die übernehmen nun mal andere Medien. Ich glaube – und letztlich beruht das ganze Geschäft auf einer Glaubensfrage - ja fest an die Streuwirkung qualitativ hochwertiger populärer Titel. Wer spät als ersten Comic „Walking Dead“ gelesen hat, muss vermutlich nicht mehr überzeugt werden, dass es gute Horrorcomics gibt und greift demnächst aus Zufall vielleicht zu einem weiteren Kandidaten aus dieser Sparte. Es wäre ja schon viel erreicht, wenn die Vorstellungen darüber, was Comics erzählerisch leisten können, nicht gegenüber anderen Fiktionserscheinungen hinterher hinkte. Selbst wer nur in Endlosschleife „Fast and the Furious“ schaut, hat davon gehört und akzeptiert, dass er das Feld auch mit „Psycho“, „Der Pate“ und weiteren riesigen Zonen des Unbekannten teilt; und alle „Fifty Shades of Grey“-Fans ahnen zumindest, dass ihnen Thomas Mann gehörig auf die Nerven geht oder für Horrorromane dieser Stephen King zuständig ist. Da spielt uns die Vielfalt des Mediums mittlerweile problemlos in die Hände, zumal gerade Phantastik-Fans wenig Scheuklappen gegenüber „fremden“ Medien zu besitzen scheinen. Insofern kann ich nur schwer ein paar „blanke“ Augenöffner herauspicken, ohne mich vorher über Präferenzen zu verständigen. Einen eingefleischten Harry-Potter-Jünger muss ich nicht mit „Maus“ ködern, dem Kafka-Conaisseur bringt meine „Thorgal“-Empfehlung wahrscheinlich nichts. Aber mit der „Wormworld Saga“ und den Werken von Marc-Antoine Mathieu könnte es schon eher funktionieren. Ohne Erweckungserlebnisse kann man die Hoffnung fahren lassen: Warum auch einem Medium treu bleiben, das man ausschließlich mit Enttäuschungen verbindet? Will man nicht nur ein Buch, sondern im Idealfall sein Medium gleich mit popularisieren, lohnt sich auch ein Blick darauf, was sich links und rechts daneben tut. Mehr Themenorientierung, nicht immer nur die Fixierung aufs Medium an sich, das würde ich mir vom Buchhandel wünschen und gerade die kleineren, inhabergeführten waren zuletzt sehr experimentierfreudig und das mit Erfolg. Warum sollten „Die alten Knacker“ nicht in der Abteilung mit zeitgenössischen Belletristik stehen, was spricht gegen einen Thementisch mit entsprechenden Comics bei den Kriminal-Romanen?
borbarad666: Eure Jubiläumsbände sind wirklich beeindruckend, auch was den Umfang und die Aufmachung betrifft. Ich kann mir vorstellen, dass diese sogar international für Aufsehen gesorgt haben, kann das sein? Ich zumindest kenne nur wenige ähnliche Werke, die aber meist Sammelbände in einfacher Aufmachung sind und nur im Umfang und Preis-/Leistungsverhältnis punkten.
Sven: Vielen Dank für die Blumen! Die Aufmachung war diesmal besonders wichtig, schließlich ist’s ein Jubiläum und Splitters Ruf hängt ja auch eng mit dem hohen Gestaltungs- und Ausstattungsselbstanspruch zusammen. Den Lizenzverlagen gefällt das Konzept sehr gut. Sie mussten unser Vorhaben ja noch vor Drucklegung absegnen, aber für die gedruckten Bücher gab es meist noch Extra-Lob. Auch einige Künstler gaben uns geradezu euphorische Rückmeldungen.
borbarad666: Wann können wir mit einer Enthüllung der letzten drei Sonderbände rechnen?
Sven: Der Grund für die Verzögerung ist „nur“ ein noch ausstehender dritter Vertrag, auf den wir täglich warten. Eigentlich war geplant, die drei fehlenden Bände gemeinsam anzukündigen. Nun haben wir kürzlich zwei bekanntgegeben, weil nicht absehbar ist, wann der fehlende Vertrag endlich fix sein wird. Beides sind exklusive Erstveröffentlichungen, beides Gesamtausgaben: „Der Mörder, den sie verdient hat“ ist ein, sagen wir, Dandy-Thriller, angesiedelt in Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts, geschrieben von Wilfrid Lupano, den ich ja eben schon besungen habe. Mit „Die alten Knacker“ hat er unsere vielleicht erfolgreichste Serie verfasst, jedenfalls ist sie auf dem besten Weg, schon deshalb versteht es sich von selbst, dass er Teil des Jubiläums-Pantheons sein muss. Und „Die Wege des Herrn“, der zweite Band, ist Splitter-Kerngeschäft pur: Ein Mittelalter-Verschwörungsthriller, der der Frage nachgeht, warum die Entdeckung Amerikas 500 Jahre vor Kolumbus geheim gehalten wurde und welche Rolle der Klerus dabei spielt.
borbarad666: Eure kleine Artbook-Abteilung bekam durch die Sonderbände nun endlich etwas Zuwachs. Können wir auch in Zukunft mit weiteren Artbooks rechnen?
Sven: Leider werden Artbooks im deutschen Comicbereich aus gutem Grund so selten verlegt, sie laufen einfach oft sehr schleppend, und noch schwerer ist es, für dieses Segment Presse zu erhalten. Das Jubiläum ist ein guter Anlass, sich mal wieder auf diesem Feld zu versuchen, weil sich „Murena“ und Don Lawrence mit Blick auf die Splitter-Geschichte sehr gut als Sonderbände eignen, insgesamt werden Artbooks aber Ausnahmen bleiben, fürchte ich.
borbarad666: Welche von den bis April 2017 erscheinenden Comicalben würdest du unseren Lesern und uns zum rezensieren jetzt schon empfehlen?
Sven: Vorneweg Noelle Stevensons Fantasy-Parodie „Nimona“, ursprünglich ein Webcomic, der in den USA mitten im Preisregen steht; grandios geschrieben, absolut originär und gaaanz entfernt vielleicht noch mit Trondheims „Donjon“ vergleichbar. Peter Eickmeyers und Gaby von Borstels Comicreportage „Liebe deinen Nächsten“ ist mir thematisch sehr wichtig – die beiden haben drei Wochen lang eine Einsatzfahrt der Flüchtlingsrettungsinitiative SOS Méditerranée auf dem Mittelmeer begleitet. Mit „Tomboy“ erscheint nach „Querschläger“ ein zweiter Comic nach einem Skript des Filmregisseurs Walter Hill, und wenn sich ein Retro-Actionknochen wie er an einem queeren Thema versucht, bin ich grundsätzlich gespannt, noch dazu wenn Matz und Jef die Künstler sind. Greg Rucka vermischt in „Black Magick“ vermengt Hexenhorror mit Polizeithriller- und Noir-Elementen, seit „Whiteout“ und „Lazarus“ bin ich ihm verfallen. Wenn sich Serge Le Tendre, der mit „Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit“ immerhin einen der besten Fantasy-Comics aller Zeiten geschrieben hat, an einer Konzeptreihe versucht, in der berühmte Morde im Mittelpunkt stehen („Ich habe … getötet“), lohnen sich mehrere Blicke. Leo frönt in „Ferne Welten“ wieder dem Sense of Wonder, und da du ihn ja schon erwähntest: Auch von „Melvile“ kommt der zweite Band.
borbarad666: Nun noch eine verlagsübergreifende Frage: Darstellungen von Gewalt und Sex stoßen medienübergreifend immer wieder auf Kritik, aber die Intensität der Gegenstimmen ist je nach Medium extrem unterschiedlich. Gerade im Videospielbereich wird jeder noch so kleine Ausbruch sofort angegangen, während das Areal der Filme davon eher verschon bleibt. Auch im Comicbereich sehe ich unterschiedliche Tendenzen: Während Gewaltszenen verschont bleiben, haben es erotische Inhalte echt schwer. Manche Verlage scheuen hier sogar die Pressearbeit. Siehst du das auch so und wenn ja, was denkst du woran das liegt?
Sven: Ist das so? Explizit pornografische Inhalte mögen es in dieser Hinsicht schwerer haben, tangieren allerdings auch einen ganz anderen Bereich der Zensur, was hingegen die gehemmte Darstellung von Sexualität in Filmen US-amerikanischer Herkunft betrifft, ist ja nicht Ausdruck einer staatlich gelenkten Prüderie denn Folge einer global ausgerichteten Produktions- und Verwertungsstruktur. Aber da gibt es mittlerweile genügend etablierte Gegenmodelle: TV-Serien als Refugium, Arthouse-Kino als Experimentierfeld, Pornografie als Kunst. Lars von Triers „Nymph()maniac“ ist heutzutage in puncto Darstellungsfreuden nicht mal mehr mutig, das waren in den 00er Jahren mit Abstrichen vielleicht noch Winterbottoms „9 Songs“, „Intimacy“, „Romance“ oder „Irreversible“. Aber auch die entfachten keinen vergleichbaren Skandal mehr wie Weiland Oshimas „Im Reich der Sinne“ in den 70ern. Auch im Comic ist Sex als Zensurfall, zumindest in Deutschland, kein Thema mehr. In den 80ern und 90ern musste man „Druuna“ noch mit schwarzen Balken veröffentlichen, statt derer gibt es heute edle Gesamtausgaben, und auch hier ist die Vermischung von Kunst und Pornografie längst nicht mehr außergewöhnlich. Auch bei Splitter haben wir ja bspw. gerade die Graphic Novel „Esmera“ von Superstar Zep veröffentlicht. Allein dass sich der Titeuf-Schöpfer ohne Pseudonym an partiell pornografischen Stoffen versucht, indiziert für mich einen Wandel. Und den letzten Indizierungsfall eines Comics müsste ich tatsächlich nachschlagen, das wird wahrscheinlich in den 90ern gewesen sein.
Nein, Gewalt sehe ich stärker im Fokus der Zensur. Auf der einen Seite gibt es die Entwicklung, dass sogar die Beschlagnahmung einiger Filmklassiker aufgehoben wurde, „Texas Chainsaw Massacre“ oder gerade jüngst „Tanz der Teufel“, trotzdem werden Filme weiterhin im monatlichen Rhythmus indiziert und gelegentlich beschlagnahmt. Das Kuriose ist ja, dass eine europaweit einmalige Behörde wie die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien seit ihrem Bestehen Kriterien und Praxis keiner nennenswerten Revision unterzieht, deren Gremien von Trägern der Jugendhilfe, Religionsgemeinschaften und Lehrerschaft besetzt werden, und nicht etwa von ExpertInnen bspw. aus der Film- und Medienwissenschaft. Man identifiziert das gegenwärtige Leitmedium der Jugend - derzeit sind das wohl Video- und Computerspiele, in den 80ern waren es „Horrorvideos“ -, heftet sich ein paar Jahre dran und ignoriert sowohl das Rezeptionsverhalten als auch Erkenntnisse der Medienwirkungsforschung. Die positivistische Auflistung der inkriminierten Stellen in den Beschlüssen, bar jeder Kontextualisierung, sind eine Fundgrube der satirischen Behördenprosa. Der Unterschied im Vergleich zu früheren Jahrzehnten: Im Internetzeitalter besitzt die Verbotsspruchpraxis der BpjM zumindest für die KonsumentInnen sowieso keine Relevanz mehr.
borbarad666: Sven, ich möchte mich vielmals für das Interview bedanken! Wir von Raben Report wünschen dir und allen Kollegen vom Splitter Verlag alles Gute für die Zukunft! Und wir hören eh wieder voneinander, spätestens wenn der Comic-Hunger unserer Leser und der Raben Report Redaktion wieder gestillt werden muss. 😉
So, und nun liebe Leser möchte ich euch dazu einladen, meine fünf Rezensionen der Comicwerke des Splitter Verlags zu lesen, eine perfekte Gelegenheit euch mit einem Ausschnitt des umfangreichen Verlagsprogrammes auseinanderzusetzen. Und natürlich möchte ich euch auch dazu Einladen eure Meinung zu diesem Special uns in den Kommentaren mitzuteilen.
Bis bald!
Euer borbarad666
Webseite: http://www.splitter-verlag.eu
Webseite 2: http://www.toonfish-verlag.eu
Webseite 3: http://www.comic.de
Copyright Artikelbild: Splitter-Verlag