SNYDER & JOCK & HOLLINSWORTH – Wytches Band 1

Horrorgeschichten in Comicform funktionieren selten gut, denn Grusel und Angst in dem Medium zu schüren ist deutlich schwieriger als es z.B. in Filmen oder Büchern der Fall ist. Während beim Medium Film die Geräuschkulisse und der rasante Bild-und Szenenwechsel wahre Wunder vollbringen können und uns beim Bücherlesen das Kopfkino und unsere eigene kranke Vorstellungskraft in die Knie zwingen können, reichen beim Comic schon ein paar ungeeignete Bilder aus, um die komplette Atmosphäre kippen zu lassen. Einen von ganz wenigen Comics, denen es gelingt eine schaurige Stimmung aufzubauen und welcher vor kurzem erst beim Splitter Verlag erschienen ist, möchte ich euch heute mal vorstellen: Den ersten Band von "Wytches".

Handlung

Der erfolgreiche Comicschreiber Charlie Rooks zog mit seiner Frau Lucy und ihrer beider Tochter Sailor in eine abgelegene Gegend von New Hampshire um ihrer belastenden Vergangenheit zu entkommen. Denn Sailor, die von ihren Eltern liebevoll Sail genannt wird, verfolgen seit frühester Kindheit Angstzustände, die schließlich nicht mehr zu ertragen waren, als sie eines Tage Zeuge des unheimlichen Verschwindens einer Schulkameradin wurde, die von einer unbekannten Kraft förmlich in den Hohlraum eines Baumes gesaugt wurde und seitdem nie mehr aufgetaucht ist. Charlie Rooks ist jedoch ein derart liebevoller und fürsorglicher Vater, der es auch versteht seine Tochter immer wieder auf positive Gedanken zu bringen und so wagen sie alle zusammen schließlich einen Neustart an einem anderen Ort. Doch die Vergangenheit lässt Sail nicht in Ruhe und schnell mehren sich die unerklärbaren, unheimlichen Ereignisse, die der Familie passieren. Als Sailor schließlich im Wald verschwindet und niemand etwas dagegen unternimmt, bricht Charlie auf eigene Faust auf um seine Tochter zu retten und deckt dabei eine weitreichendes Grauen auf, das zu besiegen er nicht mal im Traum zu hoffen wagen darf…

Horror in Bild und Text (mild Spoiler)

Der erste Band der neuen Comicreihe vom Comicautor Scott Synder erreicht das, was ich bisher kaum erlebt habe, und zwar einen Comic abzuliefern, der tatsächlich in der Lage ist beim Leser etwas Angst zu verursachen. Zwar werdet ihr jetzt keine Panik davor haben die Seiten umzublättern oder euch regelmäßig zu erschrecken, nein, das traue ich prinzipiell einem Comic zwar zu, gesehen habe ich sowas aber bisher noch nicht. Nein, “Wytches“ wirkt eher langsam und setzt sich im Leser fest und wirkt auch nach dem Lesen noch an, denn die im Comic auftauchenden Ängste sind Dinge, die viele von uns immer wieder beschäftigen. Es geht hier nämlich nicht nur um die konkreten Gefahren in Form von Monstern, sondern eigentlich um Verlustängste, die Angst allein und im Stich gelassen zu werden oder als Belastung für die Liebsten zu gelten und für die Gesellschaft unbrauchbar zu sein. Diese Themen sinnvoll in eine Horror-Geschichte unterzubringen und effektvoll wirken zu lassen, sind eine große Leistung von Scott Synder. Darüber hinaus bietet “Wytches“ aber auch noch eine einzigartige Vater-Tochter Beziehung, die ich in dieser Art nur ganz selten erleben durfte. Hier sehen wir einen Vater, der im Umgang mit seiner Tochter, ein seit frühester Kindheit von Ängsten und Depressionen geplagtes Kind, voll aufgeht und über sich hinauswächst und es immer schafft, seiner Tochter Sailor aus dem tiefsten Übel hinauszuhelfen.

Zeichnungen

Der Zeichner Jock und der Kolorist Matt Hollingsworth schaffen bei “Wytches“ eine ungewöhnliche Comickunst, die sich hervorragend eignet um Gefühle und Stimmungen zu transportieren. Dank der ausführlichen Erläuterung zur Entstehung der Bilder im Bonusteil des ersten Bandes von “Wytches“ können wir die Erschaffung des Comics auch sehr gut nachvollziehen. Die Basis von “Wytches“ bilden die intensiven Tuschezeichnungen des Comiczeichners Jock, die anschließend in mehreren Schritten überarbeitet wurden. Nach einer ersten Kolorierung wird das Bild eingescannt und mit Photoshop überarbeitet. Dann wird ein zweites Bild mit gezielt platzierten Klecksen aus Wasser -und Acrylfarben gefertigt, das schließlich ebenfalls eingescannt und wie eine Folie über das erste Bild gelegt wird. Durch diese Mixed-Media-Technik werden mehrere Ebenen übereinandergelegt, die sich gegenseitig optisch unterstützen und zu dem hervorragenden Look führen, den wir in “Wytches“ schließlich vorfinden. Neben dem intensiven Basislook muss ich unbedingt auch noch das gelungene Charakterdesign loben, gerade was die Figuren Charlie und Sailor Rooks angeht, die optisch richtig neu und unverbraucht wirken. Andere Techniken, die ich immer wieder in modernen Comics antreffe, wie z.B. das Einfügen von größeren Textbestandteilen (wie z.B. Tagebuchseiten) oder komplett anderen Zeichen- und Darstellungstechniken (wir sehen hier z.B. Charlie Rooks eigenen Comic “The Night Arcade“, dessen Inhalt auch wichtig zur Interpretation der eigentlichen Geschichte ist) über kurze Passagen, finden in “Wytches“ ihren Platz. Zuletzt ist noch anzumerken, dass auch die verschiedenen Zeitebenen in der Erzählung der Comicgeschichte, die das Ganze erzählerisch etwas in Richtung Film drängen, sehr gut eingebaut und an den richtigen Stellen genutzt werden, auch wenn man manchmal als Leser kurze Zeit die Orientierung verlieren kann.

“Wytches“ erreicht durch die Mixed-Media-Technik eine extrem dichte Atmosphäre!

“Wytches“ erreicht durch die Mixed-Media-Technik eine extrem dichte Atmosphäre!

Veröffentlichung

“Wytches“ Band 1 erscheint beim Splitter Verlag als hochwertiger Hardcover Band (Format Höhe: 28,1 cm; Breite: 20,2 cm). Der mit 192 Seiten sehr umfangreiche Band weist eine sehr gute Druck- und Papierqualität auf. Und im umfangreichen Bonusmaterial sehen wir nicht nur die Entstehung der ungewöhnlichen, aber gelungenen Comicbilder, sondern erfahren in reichhaltigen Texten auch noch warum das Comicprojekt “Wytches“ für den Comicautor Scott Synder eine sehr persönliche Angelegenheit darstellt und er mit dem Werk ganz eigene Ängste angeht.

Die Reihe ist noch nicht abgeschlossen und wird fortgesetzt.

Fazit

Der erste Band von “Wytches“ ist jetzt zwar kein richtiger Horror-Schocker, aber ein Comic mit einer richtig guten Handlung, die eher einen subtil agierenden Angstwurm unter eure Haut pflanzt, der sich dort von euren eigenen Urängsten ernährt und immer größer wird.

Zur Info

Eine Verfilmung der Comicreihe “Wytches“ wird aktuell bei Brad Pitt's Produktionsfirma Plan B Entertainment vorbereitet, die auch schon den Film “World War Z“ (2013) produzierten.

Verlag/ Label: Splitter Verlag
Autor: Scott Snyder
Veröffentlichung: 01.05.2016
Seitenzahl: 192
ISBN: 978-3-95839-291-5
Altersfreigabe: ab 16 Jahren
Webseite: http://www.splitter-verlag.eu/wytches.html
Webseite 2: Amazon
Copyright Artikelbild: Splitter Verlag GmbH & Co. KG
Copyright andere Bilder: Splitter Verlag GmbH & Co. KG

  • 8/10
    Handlung - 8/10
  • 9/10
    Intensität und Atmosphäre - 9/10
  • 8/10
    Graphische Ausarbeitung - 8/10
  • 8/10
    Charaktere - 8/10
  • 10/10
    Druckqualität und Haptik - 10/10
8.6/10

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