Ein wahrer Eyecatcher auf dem Cover bildet bei “Shame: Tochter Des Bösen“, welches vor etwa einem Jahr beim Splitter Verlag erschienen ist, die Pforte zu einem ganz wundervollen Comicerlebnis. Kein Geringerer als Comiczeichner John Bolton, dessen Karriere wir schon in mehreren Werken zuvor nachverfolgen konnten, erweckt hier das mal grotesk mal malerisch anmutende Märchen aus der Feder des Autors Lovern Kindzierski zum Leben. Wie sich in unserem Test herausstellen wird, hätte man hierfür auch niemand geeigneteren finden können:
Handlung
Mutter Tugend, eine alte, doch absolut nicht gebrechliche Frau, war allerorts sehr beliebt. Trotz ihres ganz und gar nicht ansehnlichen Äußeren blickten die Menschen in ihr absolut reines Innere und hießen sie stets willkommen. Mutter Tugend war aber auch sehr engagiert und half den Menschen wo sie nur konnte und verteilte Medizin und heilende Tinkturen.
Das regelrechte Kotzen von diesem tugendhaften Verhalten bekam jedoch der Dämon Spott und beschloss dem ganzen Guten endlich ein Ende zu bereiten. So vergewaltige er Mutter Tugend und pflanzte in sie den Samen des Bösen, der sich zu einer wohlgestalteten Tochter entwickelte, die den Namen Schande erhielt.
Schweren Mutes musste Mutter Tugend ihre Tochter nach der Geburt verlassen, denn zu leicht könnte die Tochter des Bösen die gutherzige Mutter manipulieren. Auch dürfe Schande niemals ihre Heimat, die sog. Wiege verlassen, die ihre Mutter zu einem Gefängnis umgestalten lies und Dryaden als Ammen in diese durch Zauberei gestaltete Welt einlud. So wanderte Mutter Tugend weiter durch die Welt und tat Gutes, vergaß jedoch nie ihre geliebte Tochter. Diese aber entwickelte nichts als Hass auf ihre Mutter und errichtete in der Wiege mit Hilfe ihrer finstere Mächte eine wahre Kakophonie des Grauens. Aus der liebevoll gestalteten Welt der Wiege errichtete Schande nämlich ein regelrechtes Horrorkabinett und auch die Dryaden, die ihr immer Liebe und Geduld entgegenbrachten, verwandelte Schande in missgestaltete Monster. Und so manipulierte und strafte sie in ihrem Gefängnis, um nach und nach die magische Barriere zu Schwächen und endlich Kontakt zu ihrem dämonischen Vater aufnehmen zu können, dessen teuflischer Plan damit Gestalt annehmen sollte…
Graphische Ausgestaltung und der Rückschluss auf die Geschichte
Der Name John Bolton ist aus dem Comic-Sektor nicht mehr wegzudenken, schließlich prägte er den Bereich durch seine hochwertigen Illustrationen maßgeblich. Dabei war ich zunächst von den Werken des Engländers in seiner Frühphase gar nicht so allumfassend begeistert, wie ihr im Review zu einem seiner Erstlingswerke mit dem Titel “Marada - Die Wölfin“ erfahren konntet. Ein großes Talent war da aber bereits zu erahnen. Es zeigte sich dann, dass sein extrem aufwändiger Zeichenstil erst noch seine Perfektion finden musste. So wurde sein Stil immer besser, was mir auch schon in der von ihm geschaffenen, in “Fables 27: 1001 Schneeweiße Nächte“ enthaltenen Kurzgeschichte aufgefallen ist. In “Shame: Tochter Des Bösen“, das er im Alleingang graphisch prägen konnte, zeigt Bolton nun jedoch sein wahres Können, was ich nur mit der (verdammt selten von mir vergebenen) Höchstwertung honorieren kann.
In “Shame: Tochter Des Bösen“ wandert Boltons Stil von realistisch zu abstrakt und das sowohl was die Formen als auch die Farbgebung angeht. Das Ganze trifft immer genau den richtigen Ton und vervollständigt damit erst die eigentliche Geschichte, was im Comicbereich wohl die allerhöchste Kunst darstellt. John Boltons ganz eigener Stil der perfekten Schattierung und der Darstellung absolut realistischer Figuren zeigt sich hier auch, bemerkenswert ist in “Shame“ aber auch die Kombination mit abstrakten und ungenauen Elementen. Das betrifft auch das hervorragende Charakterdesign, das gerade auf der Seite des Bösen ungelenke Monster und kaum greifbare Schattenwesen entlässt. Besonderes Augenmerk gilt hier dem Dämon Spott, der mit seinen vernähten Augen ein wahres Meisterwerk der Groteske darstellt und auch mit der Vereinigung von weiblichem und männlichem Prinzip vom esoterischen Verständnis eines John Boltons Kunde gibt. Auch in Sachen Erotik gib es in “Shame: Tochter Des Bösen“ so einiges zu entdecken, schließlich ist nicht nur die erwachsene Schande eine wahre Gothic-Augenweide, auch später in der Handlung auftauchende Figuren werden beim Leser den Blutfluss anregen.
Zu Guter Letzt möchte ich noch die Einführung des etwas tumb wirkenden Helden Merrit loben, der in seiner Rolle so untypisch und vielleicht gerade deshalb so gut platziert in der Geschichte wirkt. Das Ergebnis dieser herrlichen Symbiose aus wunderbarer Märchengeschichte des erfahrenen Comicautors Lovern Kindzierski und perfekter malerischer Interpretation ist einer der besten Comics, an den ich je Hand anlegen durfte. Meine Hochachtung an alle beteiligten Produzenten!
Veröffentlichung
“Shame: Tochter Des Bösen“ erscheint beim Splitter Verlag als hochwertige Hardcover Ausgabe (Format: Höhe: 28,4 cm; Breite: 20,2 cm; Dicke: 2,0 cm). Das 192 Seiten umfassende Werk weist eine sehr gute Druck- und Papierqualität auf. Die deutsche Ausgabe vom Splitter Verlag umfasst alle drei ursprünglich als Einzelexemplare verkauften US-Originalausgaben von “Shame“.
Fazit
Vollendetes Meisterwerk schwarzer Märchenkunst.
Verlag/ Label: Splitter Verlag
Autor: Lovern Kindzierski
Veröffentlichung: 01.02.2016
Seitenzahl: 192
ISBN: 978-3958392175
Altersfreigabe: ab 16 Jahren
Webseite: http://www.splitter-verlag.eu/shame.html
Webseite 2: Amazon
Webseite 3: http://www.johnbolton.com
Copyright Artikelbild: Splitter Verlag GmbH & Co. KG
Copyright andere Bilder: Splitter Verlag GmbH & Co. KG
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