In den letzten Wochen haben wir uns ausschließlich die Werke aktueller Künstler, die ihren Fingerabdruck in modernen Medien hinterlassen haben, angesehen, doch unser Magazin verschrieb sich der genauen Betrachtung der gesamten Kunst und so wird es höchste Zeit auch mal wieder in der Kunstgeschichte zu wandern. Gerade die Betrachtung altehrwürdiger und eben auch aktueller Kunst soll immer wieder Thema auf Raben Report sein, denn gerade der Direktvergleich aller Arten der Kunst fehlt leider nur zu oft in den Medien.
Eine Darstellungstechnik der Kunst, die heute nur noch in den seltensten Fällen genutzt wird und dann auch meist vollkommen ohne jemals große Resonanz zu erhalten, ist der Kupferstich. Gerade Ende des Mittelalters und der frühen Neuzeit (man erinnere sich an die imposanten Darstellungen der Schlachten des Dreißigjährigen Krieges in den damaligen Zeitungen) erfreute sich der aufwändige Kupferstich großer Beliebtheit und auch heute noch (ich bin ein großer Fan des Kupferstichs, was aber auch an den vielen morbiden Motiven liegt, die damit verwirklicht wurden) finden wir immer wieder historische Kupferstiche in verschiedensten Publikationen abgebildet (z.B. zu den Themen Mythen, Geschichte, Folter etc.).
Ein Mann, der mit dieser Technik ganz hervorragend umgehen konnte, war der Italiener Giovanni Battista Piranesi, der dank seiner enormen Kunstfertigkeit zu großem Ruhm gelangte. Der Taschen Verlag widmete diesem herausragenden Kupferstecher aus dem 18. Jahrhundert ein umfangreiches Werk mit dem Titel “Piranesi. The Complete Etchings“ vom Autor Luigi Ficacci, welches wir heute genauer unter die Lupe nehmen werden:
Kupferstiche und Radierungen
Bevor wir zum eigentlichen Inhalt von “Piranesi. The Complete Etchings“ kommen, möchte ich euch zunächst einmal kurz mit der Darstellungstechnik, dem Kupferstich, etwas aufklären, damit wir ein besseres Bild davon bekommen, wie der Künstler Piranesi gearbeitet hat:
Beim Kupferstich wird das Bild mit Hilfe eines sog. Grabstichels, also einem einfachem Gravierwerkzeug, in eine Kupfertafel eingearbeitet. Man schneidet und schabt hierbei das Bild Schritt für Schritt in die polierte Kupfertafel. Dem Kupferstecher stehen dabei mit dem Werkzeug und den verwendeten Materialien bei der Darstellung nur Punkte und Striche zur Verfügung, mit denen er das gesamte Bild erstellen muss. Dass mit dieser Technik derartige Meisterwerke entstanden sind, ist damit umso beeindruckender. Mit der fertig bearbeiteten Kupfertafel, auf der sich das gewünschte Motiv befindet, konnte man anschließend beliebig viele Drucke herstellen, so dass man das Werk einfach weiter verbreiten konnte. Buchdruck und Kupferstich ergänzten sich also hervorragend und führten als einer von mehreren Gründen zum Ende des Mittelalters. Dem Kupferstich sehr ähnlich ist die Radierung, die meist ein Ätzverfahren darstellt, wobei es auch hier Ausnahmen gibt (z.B. bei der Kaltnadelradierung). Piranesi verwendete bei der Erstellung seiner Werke verschiedene Techniken des Kupferstichs bzw. der Radierung. Piranesi wird als Kupferstecher bezeichnet, da ein Kupferstecher sowohl Kupferstiche als auch Radierungen anfertigen kann. Soviel erstmal zur Klärung der verwendeten Begriffe.
Inhalt
Nach einer Einleitung des Autors Luigi Ficacci folgt im äußerst umfangreichen Hauptteil des Werkes der Gesamtkatalog der Radierungen Piranesis. Diese werden in unterschiedliche Bereiche aufgeteilt, die sich jeweils einem Thema (z.B. römische Altertümer, Trophäen des Kaisers Augustus, Entwürfe von fiktiven Kerkern) widmen. Die großflächigen Abbildungen der Werke Piranesis werden in “Piranesi. The Complete Etchings“ sehr gut präsentiert, wobei meist ein bis zwei Werke pro Seite aufgezeigt werden. In jedem Kapitel folgt zunächst ein kurzer einleitender Text, der kurz auf die dort gezeigten Werke eingeht. Persönlich wirkt für mich die Reihenfolge der einzelnen Kapitel vollkommen wahllos, vielleicht hätte man hier durch ein anderes Konzept mehr Struktur und somit auch Übersichtlichkeit ins Werk bringen können.
Im Anhang finden wir schließlich noch eine Biographie von Giovanni Battista Piranesi, in der wir stichpunktartig die wichtigsten Stationen seines Lebens nachvollziehen können. Eine Liste mit ausgewählter Bibliographie, ein Index sowie eine Konkordanz beenden schlussendlich “Piranesi. The Complete Etchings“.
Die ewige Stadt Rom und Kafkas finsterste Kerker
“Piranesi. The Complete Etchings“ bietet dem Leser eine imposante Sammlung aller bekannter Werke des Italieners Piranesi. Piranesis Arbeiten lassen sich grob in zwei Hauptbereiche gliedern, die beide massiv Einfluss auf ihre Nachwelt ausgeübt haben. Zum einen haben wir hier die zahlreichen Abbildungen von Gebäuden der Stadt Rom, die bis heute unser Bild von Rom, ja sozusagen die Vorstellung vom Aussehen der ewigen Stadt prägen. Diese extrem detaillierten Abbildungen von Gebäuden in und um Rom (vereinzelt auch darüber hinaus) sowie von architektonischen Bauwerken jedweder Art, wie etwa Brücken, Straßen und Friedhöfe (dieses Kunstgenre nennt man Vedute und bezeichnet die möglichst detailgetreue Abbildung eines Stadtbildes oder einer Landschaft) sowie verschiedensten Kunstwerken (z.B. Sarkophage, Vasen etc.) Piranesis zeugen von einer hohen Kunstfertigkeit und Klarheit bzw. Sauberkeit bei der Darstellung, die man sonst eher von Bauplänen von Architekten oder technischen Zeichnungen gewohnt ist. Piranesi erweckt diese Szenerien jedoch auch zum Leben indem er ihnen etwas Mystisches verleiht, was sie somit von einfachen Bauzeichnungen abhebt. Gerade seine beiden Ausbildungen, zunächst zum Architekten, später zum Bühnenbildner, erklären diese Symbiose aus Kunstfertigkeit und haargenauer architektonischer Zeichnung sehr gut. Und das erklärt auch sehr gut, warum von Piranesis Zeichnungen eine derartige Faszination ausgeht. Neben seinen Tätigkeiten als Architekt und Bühnenbildner beschäftigte sich Piranesi aber auch noch sehr mit der Archäologie, was sich wiederum ebenfalls stark in seinen gewählten Motiven wiederfindet.
Noch viel mehr Atmosphäre transportiert der italienische Künstler Piranesi jedoch mit seinen anderen, weitaus bekannteren Werken. Diese weisen eine düstere Atmosphäre auf und reichen bei der Wahl der Motive gar ins Groteske. Hier ist vor allem Piranesis Bilderreihe der “Carceri“, also Abbildungen von fiktiven Kerkern, die in Form monumentaler, labyrinthartiger, erdrückender Bauwerke dargestellt werden, zu nennen. Gerade diese Werke beeinflussten viele spätere Künstler jedweder Art, unter anderem auch den Schriftsteller Franz Kafka, zu wahren Höllenvisionen.
Veröffentlichung
“Piranesi. The Complete Etchings“ erscheint beim Taschen Verlag in zwei verschiedenen Veröffentlichungsformen, einmal als preisgünstiger Einzelband in der “Bibliotheca Universalis“-Edition und andererseits als zweibändige Version (unsere Testversion). Beide Fassungen sind weitestgehend inhaltsgleich. Wir beziehen uns in den folgenden Angaben auf die von uns getestete Version, die in Form zweier Bände erscheint.
“Piranesi. The Complete Etchings“ umfasst zwei Hardcover Bände (jeweils im Format: Höhe: 31,3 cm; Breite: 25,0 cm), die in einem sehr stabilen, schön illustrierten Pappschuber Platz finden. Die beiden Bände umfassen zusammen 792 Seiten, die eine gute Druck- jedoch leider nur eine mittelmäßige Papierqualität aufweisen. Es handelt sich um eine dreisprachige Edition in den Sprachen Englisch, Deutsch und Französisch.
Fazit
“Piranesi. The Complete Etchings“ bietet unzählige Einblicke in die Schaffenswelten des wohl talentiertesten und einflussreichsten Kupferstechers des 18. Jahrhunderts und präsentiert uns alle bekannten Werke des Ausnahmekünstlers. Doch trotz zahlreicher beeindruckender Werke im doppelbändigen Mammutwerk spricht “Piranesi. The Complete Etchings“ mit Sicherheit nicht alle Kunstbegeisterten an, sondern richtet sich in erster Linie an Architekten und Freunde der historischen Stadt Rom.
Persönlich fehlen mir im Band nähere Hintergründe zur Person hinter den Werken und genauere Informationen, wie Piranesi diese selbst erstellt hat und was seine detailreichen Werke damit von denen seiner Zunftkollegen abhebt. Alles in allem ist “Piranesi. The Complete Etchings“ aber eine gelungene Fundgrube, voll beeindruckender Werke eines wahren Meisters und wird aus diesem Grund auch zahlreiche Freunde finden.
Verlag/ Label: Taschen Verlag
Autor: Luigi Ficacci
Veröffentlichung: 00.00.2011
Seitenzahl: 792
ISBN: 978-3836531962
Altersfreigabe: unbekannt
Webseite: https://www.taschen.com/pages/de/catalogue/home/index.startseite.htm
Webseite 2: https://www.amazon.de/Piranesi-2-Volumes-Luigi-Ficacci/dp/3836531968/ref=pd_sbs_14_1?_encoding=UTF8&psc=1&refRID=0KFDNK3P3XXE5WK9GYD9
Webseite 3: https://www.amazon.de/Piranesi-Complete-Etchings-Luigi-Ficacci/dp/3836559404/ref=pd_sbs_14_1?_encoding=UTF8&psc=1&refRID=B6PJ8W9J83A7Z4KB9HKR
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