Nachdem Hollywood in den 1950er und 1960er Jahren das Filmgenre des Monumentalfilms (bzw. genauer gesagt des Antikfilms, welcher auch gerne etwas spöttisch als Sandalenfilm bezeichnet wird), welches seinen Höhepunkt im legendären “Ben Hur“ (1959) mit dem unvergleichlichen Charlton Heston in der Hauptrolle fand, bis zur absoluten Erschöpfung ausreizte (was der italienische und amerikanische Film anschließend mit dem Western auch veranstalteten), war es lange Zeit still um die Geschichten rund um die alten Römer. Erst zurecht hochgelobte Produktionen, wie Ridley Scott’s “Gladiator“ (2000) oder die Serie “Spartacus“ konnten den Staub der Zeit abschütteln und das Format in die aktuelle Epoche übertragen. Eine Methode, die ihnen dabei half, war es diese vergangenen Zeiten in ungeschönter Art und Weise darzustellen, die sogar mehr mit der damaligen Realität zu hatte, als man auf den ersten Blick womöglich glauben mag. Einen sehr ähnlichen Weg, jedoch im Comic-Format, beschritten im Jahr 2001 die beiden bekannten Comicproduzenten Jean Dufaux (Autor) und Philippe Delaby (Zeichner) und greifen in ihrem Werk mit der Herrschaft des Kaisers Nero ein hochbrisantes Kapitel der römischen Geschichte auf:
Handlung
Im Jahre 54 nach unserer Zeitrechnung befindet sich nahezu die komplette bekannte Welt (die ganze Welt? Nein, denn ein kleines Dorf... Moment, das war ja was ganz anderes ^^) in der Hand des römischen Imperiums, das seit einigen Jahren den Worten des als umsichtig, vielleicht aber auch als schwächlich geltenden Kaisers Claudius, gehorcht. In Claudius‘ nächster Umgebung brodeln aber die Intrigen und Bestrebungen anderer Machthaber, die selbst oder für ihre eigenen Kandidaten das höchste Amt des Imperiums anstreben. Allen voran eilt in diesem Streben Claudius‘ Gattin Agrippina, die ihren Sohn Lucius Domitius Ahenobarbus (sein Name wurde anschließend in Tiberius Claudius Nero Caesar umgeändert; bei ihm handelt es sich um den späteren Kaiser Nero) aus der Ehe mit dem mittlerweile verstorbenen Politiker Gnaeus Domitius Ahenobarbus, als neuen Herrscher über Rom etablieren will. Im Weg steht ihr hierbei zunächst ihr Gatte, der Kaiser höchstselbst, doch mit etwas Gift lässt sich dieses Problem schnell lösen. Als weitere Hürde in Agrippinas Streben steht auch noch der eigentliche Thronfolger, Claudius‘ leiblicher Sohn Brittannicus, doch ob sich der junge Knabe rechtzeitig wird gegen seine zahlreichen Widersacher wird erwehren können, darf getrost bezweifelt werden. Doch ob sich Agrripinas Sohn Nero, trotz ihrer zahlreichen politischen Bestrebungen und Ränkeschmiedereien so einfach beeinflussen lässt, oder ob dieser nicht sogar einem von den Göttern ersonnenen Schicksal folgt, wird sich zeigen. Ein mehr als spannendes, blutiges Bankett, das nicht nur in den prachtvollen Palästen, sondern auch in den heißschwülen Straßen und dem Sand der Arena ausgefochten wird, und das die Zukunft des römischen Reiches schmieden wird, erwarten euch in “Murena“!
Ein Murena sie alle zu verknüpfen
Um all die Ereignisse rund um die Herrschaft Kaiser Neros und die Bestrebungen der ganzen Persönlichkeiten rundherum zu verbinden und genau beleuchten zu können, ersannen die Ersteller des Comics, Jean Dufaux und Philippe Delaby, die fiktive Figur des Lucius Murena, der als Patrizier und Freund des jungen Nero Einblicke in zahlreiche Begebenheiten der Geschichte erhält. Mit diesem Kniff ist es den Autoren möglich hier einen Beobachter mitten in die Handlung zu positionieren, der dem Leser helfen soll all die Ereignisse von einem weiteren Standpunkt aus zu beobachten bzw. mit der Figur des Murena überhaupt erst einen Reporter am Ort des Geschehens zu haben. Ob sich diese Entscheidung eine fiktive Figur als zusätzlichen Akteur einzusetzen als besonders gelungener Kniff oder doch als eher hinderlich erweist, kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht beurteilen, bisher sehe ich das Ganze aber eher als überflüssige Aktion an.
Ansonsten bewegen sich Jean Dufaux und Philippe Delaby in ihrer mehrteiligen Geschichte aber absolut souverän auf dem Parkett der historischen Ereignisse, was sicherlich auch daran liegt, dass sie im Vorfeld nochmal genau die zugrunde liegenden Werke mit den geschichtlichen Hintergrundinformationen durchforsteten und aus diesen eine möglichst realistische und eben auch ungeschönte Version (es gibt in “Murena“ Band 1 durchaus einige “härtere“ Szenen, wer aber die TV-Serie “Spartacus“ gesehen hat, den reißt hier aber nix mehr vom Hocker ^^) für ihr Werk verwendeten. Vieles aus der damaligen Zeit ist noch erstaunlich detailliert erhalten, andere Themen hingehen obliegen der Interpretation aus verschiedenen Quellen mit unterschiedlicher Information, was sich z.B. auch sehr gut damit erklären lässt, dass die damaligen Chronisten nicht immer die Wahrheit niederschrieben wollten, sondern ganz gezielt bestimmte Personen und Ereignisse verunglimpften. Propaganda stand eben schon damals hoch im Kurs. Dufaux‘s und Delaby’s Version des römischen Reiches macht hingegen einen sehr abgeklärten historischen Eindruck, der mit Sicherheit auch dem kritischen Blick der Experten standhalten könnte, so zumindest lautet mein Eindruck.
Zeichnungen
Leider ist der Belgier Philipp Delaby im Jahr 2014 im Alter von gerade mal 53 Jahren von uns gegangen, was unter anderem auch für die Comicwelt einen herben Verlust bedeutete, schließlich sind Delabys Zeichnungen wahre Kunstwerke, insbesondere was die Cover der verschiedenen Comicausgaben angeht. Delaby trumpft im ersten Band von “Murena“, der die ersten beiden Kapitel des 1. Zyklus dieses Mammutwerkes enthält, mit einer enormen Detailverliebtheit auf, die sich – wie zuvor nur selten gesehen – besonders in den üppigen Hintergründen zeigt, die mit reich ausgestalteten Innen- wie auch Außenansichten der antiken Stadt Rom mit all ihren Wundern aufwartet. Aber auch was die realistisch ausgearbeiteten Personen angeht, beweist Delaby sein Können. Was mir jedoch weniger gefällt ist, das Kapitel 1 und 2 unterschiedlich koloriert wurden, was die Homogenität des Gesamteindrucks des Werkes etwas trübt. So präsentiert sich der erste Teil dank der Farbgebung von Dina Kathelyn im farbenfrohen Buntstift-Look, der mir sehr gut gefällt, wohingegen Philipp Delaby selbst mit André Benn das zweite Kapitel in eher blassen Aquarell-Farben ausgestaltete. Beide Verfahren sind durchaus gut, passen jedoch kaum zusammen.
Der Splitter Verlag verfügt in seinem Sortiment übrigens auch ein tolles, auf 1111 Exemplare limitiertes Artbook mit zahlreichen ausgearbeiteten Skizzen Philipp Delaby’s aus seiner Arbeit zu “Murena“. Ich habe davon selbst ein Exemplar daheim und kann es Fans von Philipp Delaby durchaus empfehlen.
Veröffentlichung
Der Splitter Verlag verlegt die Comicreihe “Murena“ in gewohnt hochwertiger Ausführung, wobei die Bände bis einschließlich Kapitel 8 des 2. Zyklus in Form von umfangreichen Doppelbänden erscheinen. Anschließend geht es in Einzelbänden weiter.
“Murena Band 1 Kapitel 1 Purpur und Gold + Kapitel 2 Sand und Blut (1. Zyklus)“ erscheint als Hardcover Ausgabe (Format: Höhe: 32,2 cm; Breite: 23,1 cm). Die 128 Seiten des Werkes weisen eine sehr gute Druck- sowie eine gute Papierqualität auf. Nach jedem Kapitel finden wir in einem Glossar die in der Geschichte verwendeten, exotischeren Ausdrücke (also z.B. lateinische Begriffe oder Andeutungen auf historische Begebenheiten) sowie ein Quellenverzeichnis mit Angaben der Bücher mit den historischen Quellen, aus denen die Autoren schöpften. Nach jedem Kapitel warten zudem einige Bonusseiten mit Entstehungsskizzen und informativen Texten zur Erstellung von "Murena", sowie den zugrunde liegenden Hintergründen der Geschichte, auf die Leser.
Eine sehr gute Lesevorschau zu “Murena Band 1 Kapitel 1 Purpur und Gold + Kapitel 2 Sand und Blut (1. Zyklus)“ findet ihr auf der Produktseite des Splitter Verlags.
Fazit
Herrlich inszeniertes Historien-Drama rund um den Aufstieg des römischen Kaisers Nero, einer der verhasstesten, gleichzeitig aber auch schillerndsten Persönlichkeiten der gesamten Menschheitsgeschichte. Historisch hervorragend recherchiert und optisch imposant in Szene gesetzt, liefern Jean Dufaux und Philippe Delaby mit ihrer umfangreichen Comicreihe “Murena“ ein absolut empfehlenswertes Werk eines bereits fast totgeglaubten Genres ab und erfreuen damit eine breite Leserschaft.
Verlag/ Label: Splitter Verlag
Autor: Jean Dufaux
Veröffentlichung: 01.09.2016
Seitenzahl: 128
ISBN: 978-3-95839-379-0
Altersfreigabe: unbekannt
Webseite: https://www.splitter-verlag.de/murena-bd-1-2-1-zyklus.html
Webseite 2: Amazon
Copyright Artikelbild: Splitter Verlag GmbH & Co. KG; Dargaud Benelux (Dargaud-Lombard s.a.), by Dufaux, Delaby
Copyright andere Bilder: Splitter Verlag GmbH & Co. KG; Dargaud Benelux (Dargaud-Lombard s.a.), by Dufaux, Delaby
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