ZOË LESCAZE – Paläo-Art: Darstellungen der Urgeschichte

Paläoart bzw. Paläo-Art beschreibt eine Kunstrichtung, die sich mit der wissenschaftlich möglichst akkuraten Darstellung von ausgestorbenen Lebewesen, dabei allen voran Dinosauriern und prähistorischen Säugetieren (inkl. des frühen Menschen), beschäftigt. Doch “wissenschaftlich korrekt“ richtet sich immer auch nach dem aktuellen Kenntnisstand, der sich im Laufe der Jahre natürlich stark ändern kann. So entsprechen verschiedene Abbildungen der Paläoart heute ganz und gar nicht mehr dem Stand der Wissenschaft oder wollten es auch nie sein, wie wir z.B. im Falle der “Jurassic Park“-Filme und deren zahlreichen Merchandiseprodukten sehr gut sehen können. Auch wenn das jetzt nicht unbedingt die allgemeine Einstellung zu dem Thema ist, so ist meiner Meinung nach die Paläoart neben der realistischen Darstellung von ausgestorbenen Wesen, genauso eine künstlerische Interpretation, die sich durchaus auch mal kleinere Freiheiten nehmen darf. Wer hätte denn nämlich vor wenigen Jahrzehnten schon gedacht, dass so viele Dinosaurier befiedert waren? Und nachdem man eine Zeit lang angenommen hat, dass der majestätische T. rex ein Federkleid hatte, dies nun wahrscheinlich doch nicht so ist? Paläoart (im englischen “Paleoart“) ändert sich im Extremfall tagtäglich und wer soll denn dann schon entscheiden, was dazugehört und was nicht? Genau aus diesem Grund ist historische Paläoart ebenfalls zu dieser Kunstrichtung hinzuzuzählen, auch wenn es die dargestellten Tiere in diese Form nie gegeben hat. Dennoch habe diese “Fantasiewesen“ einen ganz eigenen Platz erobert und sind dank Künstlern, wie dem unfassbar emsigen Zdeněk Burian oder einem genialen Filmschöpfer, wie Ray Harryhausen und seiner mit Stop-Motion-Technik in zahlreichen Streifen zum Leben erweckten Dinosauriern und anderen prähistorischen Tieren, und vielen weiteren kreativen Persönlichkeiten, von denen wir im Folgenden noch weitere kennenlernen werden, nicht mehr aus der Populärkultur, ja vielleicht sogar dem kollektiven Gedächtnis, wegzudenken (man bedenke nur, wie viele Menschen noch die Darstellung eines Tyrannosaurus rex, der aufrecht wie ein Mensch geht für die korrekte Darstellungsweise halten) sind.

Der Taschen Verlag und die Autorin Zoë Lescaze widmeten exakt diesen Anfängen der Paläoart ein umfangreiches Buchwerk, das zahlreiche Abbildungen dieser Kunstform beinhaltet. Begleitet mich also im Folgenden auf eine spannende Reise in “Paläo-Art: Darstellungen der Urgeschichte“ von Zoë Lescaze:

Inhalt

Als erstes Werk der Paläoart zählt das ca. 1830 entstandene Aquarell “Durian Antiquior“ des englischen Wissenschaftlers Henry Thomas De La Béche, einem was die Maltechnik angeht zwar wenig spektakulärem Werk, was die fantasievolle Ergänzung der Vorstellung eines Lebensraums aus längst vergangenen Zeiten anhand einer Handvoll paläontologischer Funde angeht, aber Maßstäbe setzte und in dieser Form unzählige Male in ähnlicher Form wiederholt (ja eigentlich schon fast kopiert) wurde (der Begriff “Paläoart“ wurde übrigens erst viel später in den 1980er Jahren vom Dinosaurier-Künstler Mark Hallett gebraucht und etabliert). De La Béche’s Werk zeigt einen von vielen unterschiedlichen Lebensformen bewohnten Küstenabschnitt eines Urmeeres, in dem sich allerlei unbekannte Tiere tummeln, die man ohne weiteres auch zuordnen kann (z.B. sehen wir dort u.a. vermutlich Plesiosaurier und Ichthyosaurier). Henry Thomas De La Béche erschuf mit seinem Bild den Beginn eines ganz neuen Genres, der Paläo-Art, einer Kunstform, die sich ganz gezielt der Darstellung ausgestorbener Lebensformen verschrieben hat und die sehr schnell eine nicht vorauszuahnende Popularität erlangte. Vielen mag das heute sehr befremdlich erscheinen, doch tatsächlich waren Dinosaurier im Zuge der “Bone Wars“ schon im viktorianischen Zeitalter absolut omnipräsent, was sich nicht nur im absolut beeindruckend gestaltetem Crystal Palace Park in London mitsamt seiner imposanten Dinosaurier-Skulpturen (diese wurden vom Künstler und Naturwissenschaftler Benjamin Waterhouse Hawkins gefertigt) zeigt, sondern sich schon damals auch im Merchandising niederschlug und Produkte wie Sammelkarten, die Schokoladentafeln beilagen, hervorbrachte. Und man bedenke, wir reden hier vor einer Zeit von vor über 120 Jahren. Dinosaurier eroberten eben schon damals nicht nur Kinderherzen, sondern resultierten auch in einem mit fiebrigem Eifer vorgepreschtem wissenschaftlichen Forscherdrang, der innerhalb kürzester Zeit unsere Vergangenheit auf den Kopf stellte. Schließlich wurde mit dem Beweis von Leben lange vor unserer Zeit nicht nur die Erdgeschichte umgeschrieben, sondern auch die Schöpfungsgeschichte ad absurdum geführt. Dinosaurier und Gott vertragen sich halt einfach nicht. ?

Bild 1: Hier befinden sich die beeindruckenden Skulpturen, die verschiedene Dinosaurier darstellen, noch im Aufbau, im Jahre 1854 sollten diese jedoch eines der ersten Meisterwerke der Paläoart, dem Crystal Palace Park, ausschmücken. Der Park existiert in dieser Form bis heute und lässt nicht nur die Herzen von Dino-Fans höherschlagen.

Praktisch vollkommen aus dem Nichts tat sich also für die Menschen eine vollkommen neue, faszinierende Welt auf, in der unbeschreibliche Wesen zu Hause waren, die die Fantasien künftiger Generationen beflügeln sollten. Zwar gab es schon zuvor Funde von Fossilien, die sich höchstwahrscheinlich in der Vorstellung von mittelalterlichen Drachen und auch als mythologische Monster oder gar Gottheiten manifestierten, doch eine derartig großangelegte, wissenschaftliche und gleichzeitig auch künstlerische Herangehensweise war bisher vollkommen unbekannt. Die Qualität der Abbildungen schwankte sowohl was die künstlerische Ausgestaltung anging, aber auch was die anatomisch korrekten Darstellungsweisen betraf, gerade in der Frühzeit der Paläoart noch sehr stark. Das zeigte sich auch im Aufbau der fossilen Funde in den Museen, die teilweise die Knochen vollkommen falsch zusammenfügten. Man wusste es damals einfach noch nicht besser, und wer die paläontologische Szene heute betrachtet, merkt, dass wir unsere Vorstellung des damaligen Lebens auch heutzutage immer wieder neu überdenken müssen.

Die Großmeister

Einen gewaltigen Schritt nach vorne macht die Paleoart in erster Linie dank der Arbeit zweier herausragender Künstler, die auch heute noch zu den absoluten Meistern dieses Kunst-Genres zählen und die wie keine andere Person bis heute unsere Vorstellung der Urzeitwelten und ihrer Bewohner prägen. Ja, auch mitsamt der Fehler, wie z.B. einem aufrecht gehenden T. rex oder Brontosauriern, die aufgrund ihres Gewichtes angeblich nur im Wasser existieren konnten. Aber wie gesagt, auch ein solcher Mix aus Fantasiewesen und wissenschaftlich recherchiertem Lebewesen macht ein Bild nicht weniger beindruckend. Aber zurück zu den Großmeistern der Paläo-Art: Der erste Künstler, der dieses Kunstgenre, sowohl durch hohe Kunstfertigkeit, als auch eine bisher nicht dagewesene Stimmigkeit bei der wissenschaftliche/biologisch korrekten Darstellungsweise der ausgestobenen Spezies, auf immense Weise bereicherte war der US-amerikanische Künstler Charles R. Knight (1874-1953). Knight‘s Werke, die bis heute zahlreiche naturhistorische Museen und noch viel mehr Dinosaurier-Bücher bereichern, sind weltweit bekannt und prägen das Bild, das wir von den urzeitlichen Welten haben, bis heute. Der Künstler schaffte es auch diese Wesen wie kein anderer zuvor auf eine sehr realistische Weise darzustellen, was nicht nur an seinem meisterhaften Umgang mit Ölfarben zu verdanken ist, sondern auch, da er die fehlenden Elemente bei den urzeitlichen Fossilen durch die Implementierung des Aussehens heutiger Reptilien ergänzte. So adaptierte Knight z.B. die Hautstruktur heutiger Leguane und übertrug diese auf die Dinosaurier und erzielte damit hervorragende Ergebnis, die wohl auch der Realität sehr nahekommen (man kann ja bis heute nur mutmaßen, wie die Haut der Dinosaurier beschaffen war).

Ein Künstler, der meiner Meinung nach in Sachen Kunstfertigkeit noch mindestens einen Schritt weiterging und dank seiner unfassbaren Emsigkeit unser Bild der Dinosaurier und anderer prähistorischer Lebewesen massiv prägte, war der tschechische Künstler Zdeněk Burian (1905-1981), dem wir heute auch nicht zum ersten Mal begegnen und definitiv auch noch in anderen Werken begegnen werden. Burian, dem das sechste Kapitel in “Paläo-Art: Darstellungen der Urgeschichte“ gewidmet ist, ist dank seiner Brillanz, gerade was seine Ölgemälde betrifft, und natürlich auch wegen der gewählten Motive einer meiner absoluten Lieblingskünstler. Bis heute kann ich nur staunen, wenn ich die auf so realistische Weise auf Leinwand gebannten Dinosaurier sehe und wenn man dann noch hört, dass Burian angeblich in der Lage war ein derartiges Bild innerhalb einer Stunde zu fertigen und im Laufe seines Lebens eine unfassbare Anzahl von bis zu 20.000 Bildern geschaffen hat, dann verschlägt es wohl jedem die Sprache.

Bild 2: Charles R. Knight inszenierte schon sehr früh lebendige Dinosaurierbegegnungen, wie diesem Kampf zweier Dryptosaurier.

Charles R. Knight und Zdeněk Burian gelten bis heute als die prägendsten und wichtigsten Künstler im Bereich der Paleoart und beeinflussten das Schaffen aller nachfolgender Künstler, die in diesem Bereich Fuß fassen wollten. Erst mit dem Blockbuster “Jurassic Park“ (1993) erreichte uns eine neue Welle von Einflüssen zur Paläo-Art, bis dahin waren es fast ausschließlich die Werke dieser beiden Ausnahmekünstler, die unser Bild der Urzeit prägten.

Im weiteren Kapiteln geht die Autorin Zoë Lescaze in “Paläo-Art: Darstellungen der Urgeschichte“ auf die Paläoart anderer Künstler aus dem “Paläo-Art-Heimatland“ England (Kapitel 7) sowie aus Russland (Kapitel 8) ein, die wiederum eigene Einflüsse mit ins Spiel brachten. Ein weiteres Kapitel zur Klassifizierung und der Betrachtung der Wertschätzung der Paläo-Art sowie eine hochinteressanter Anhang, in denen verschiedene Beispiele der Anfänge der Paläo-Art in der Populärkultur (man bedenke nur, dass einer der allerersten Trickfilme überhaupt, Winsor McCay’s “Gertie The Dinosaur“ (1914), einen Brontosaurus namens Gertie als Hauptfigur zeigt, der als allererster Zeichentrickcharakter der Welt gilt) vorgestellt werden, folgen im Schlussteil des Buches. Gerade beiletztem Kapitel hätte ich mich aber sehr gefreut, wenn dies deutlich umfangreicher gewesen wäre, da es gerade hier noch viel Wichtiges zu erzählen gibt. Anmerkungen, eine Danksagung der Autorin, sowie ein Impressum beenden schließlich des beeindruckende “Paläo-Art: Darstellungen der Urgeschichte“.

Viele weitere Eindrücke zu “Paläo-Art: Darstellungen der Urgeschichte“ erhaltet Ihr auch in folgendem Buch-Trailer:

Jurassic Art. Modern Visions of Prehistory

Veröffentlichung

“Paläo-Art: Darstellungen der Urgeschichte“ erscheint beim Taschen Verlag als großformatiger (Höhe: ca. 38,2 cm; Breite: ca. 28.8 cm; Dicke: ca. 3,8 cm) Hardcover Band mit toller Prägeoptik, die in Kunststoff geprägte Dinohaut mitsamt eines Dinosaurier-Fußabdrucks aufzeigt. Auch der wunderschön illustrierte Schutzumschlag, mit einem Inostrancevia als Motiv, glänzt mit einem hochwertigen Prägedruck. Die 292 Seiten des Werkes weisen eine sehr gute Druck- und Papierqualität auf. Vier großflächige Ausklappseiten sorgen zudem für eine perfekte Präsentation großformatiger Panoramabilder. “Paläo-Art: Darstellungen der Urgeschichte“ erscheint in vier Sprachen (Deutsch, Englisch, Spanisch und Französisch), wir von Raben Report haben die deutschsprachige Ausgabe zum Test erhalten. Wir möchten uns an dieser Stelle beim Taschen Verlag vielmals für das Testexemplar bedanken!

Fazit

Mit “Paläo-Art: Darstellungen der Urgeschichte“ von Zoë Lescaze und Walton Ford (Vorwort) bietet der Taschen Verlag dem interessierten Freund historischer Paläo-Art, der besonderen Kunstform, die sich der Darstellung von ausgestorbenen Lebewesen wie Dinosauriern, prähistorischen Säugetieren und dem frühen Menschen widmet, ein einmaliges Mammutwerk, das in keiner Dinosaurier-Sammlung fehlen darf. Neben bekannten Meisterwerken dieses Kunstgenres, wie den Werken von Heinrich Harder, Charles R. Knight und Zdeněk Burian, enthält “Paläo-Art: Darstellungen der Urgeschichte“ aber auch zahlreiche erstmalig in Buchform präsentierte, unbekannte Werke, die vorher versteckt in Privatsammlungen nur wenigen Auserwählten zugänglich waren. Und natürlich werden die 292 Seiten des Werkes, wie gewohnt vom Taschen Verlag, in absolut perfekter Qualität präsentiert.

Jetzt kann ich mir als riesen Dino-Fan nur wünschen, dass hierzu irgendwann ein Nachfolgeband erscheinen wird, der unter anderem Stan Winstons Arbeiten an den “Jurassic Park“-Filmen und aktuelle Paläoart Künstler, wie Ricardo Delgado, William Stout und Steve White beleuchtet.

Verlag/ Label: Taschen Verlag
Autoren: Zoë Lescaze, Walton Ford
Veröffentlichung: 01.08.2017
Seitenzahl: 292
ISBN: 978-3-8365-6584-4
Altersfreigabe: unbekannt
Webseite: https://www.taschen.com/pages/de/catalogue/art/all/03421/facts.palaeo_art_darstellungen_der_urgeschichte.htm
Webseite 2: Amazon
Webseite 3: http://www.zoelescaze.com
Copyright Artikelbild: TASCHEN GmbH; Alexei Petrowitsch Bystrow
Copyright andere Bilder: Bild 1: TASCHEN GmbH; Illustrated London News Ltd;
Bild 2: TASCHEN GmbH; Charles R. Knight, Courtesy of American Museum of Natural History, New York

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