DOR – Interview

Mit DOR existiert ein feiner Vertreter in Russland, der mittels Power Electronics seinen Ausdruck findet. Vitaly, der kreative Kopf hinter diesem interessanten Projekt war so freundlich, mir einige Einblicke zu gewähren. Also nehmt euch die Zeit und gebt diesem Projekt eine Chance.

blizzard: Hallo Vitaly! Der Name DOR, was ist die Bedeutung davon?

Vitaly: Das Wort "DOR" kommt vom Ausdruck "Destruction Of Russian" und hat viele Bedeutungen. Einerseits DOR - ist der Name einer bestimmten "dunklen" Kreatur, die ihre Energie durch die Musik überträgt. Auf der anderen Seite ist es der Zustand der letzten Überschreitung und inneren Klärung; das hat mich bei der Musikarbeit interessiert.

blizzard: DOR gibt es seit 2009 und steht für Power Electronics. Mit welcher Musik bist du eigentlich aufgewachsen und wie kommst du letztendlich zum Industrial?

Vitaly: Ich war 22, zu dieser Zeit hörte ich viel Industrial-, Noise- und Elektroakustik Musik. Throbbing Gristle, Coil, Current 93, Whitehouse, Genocide Organ, Atrax Morgue, Maurizio Bianchi ... Diese Künstler waren zu dieser Zeit für mich interessant und sind es auch heute noch. Ich wurde vom Druck und der Ausstrahlung der Power Electronics angezogen, weil ich nach neuen Wegen suchte, um mit der Stimme und dem Klang von analogen Synthesizern zu arbeiten. Ich interessiere mich auch für 70er Industrial und experimentelle Elektronik wie Das Synthetische Mischgewebe oder die Ambient Arbeiten von Maeror Tri. Ich mag gerne verschiedene Musikformen, vor allem aber an Musik, die das Unterbewusstsein beeinflusst und starke innere Formen erweckt. Zum Beispiel scheint das Erbe von John Balance und Peter Christopherson unerschöpflich zu sein.

blizzard: Ist DOR ein Projekt zur Kritik der russischen Politik? Das Artwork von "Something Without Name" und der Titel "Life In Russhausen" scheinen zumindest so. Oder gibt es für jedes Album ein anderes Konzept?

Vitaly: DOR berührt soziale Probleme und fängt meine Reaktionen auf das Geschehene ein, ist für mich aber mehr Kunst als ein kritisches Projekt. Kunst ist für mich kein Propagandawerkzeug, sondern ekstatische Erfahrung und Kreation der eigenen Welt. Ich berufe mich auf abnormale Bilder, lasse sie auf mich wirken und verwandle sie in einen authentischen Klang - dies ist für mich das einzig 'richtige'. DOR ist eine Katharsis durch das Eintauchen in Grausamkeit, "Life In Russhausen" und "Something Without Name" handeln meistens davon. Diese Alben haben eine Menge dokumentarischer Wahrheit, aber sie gehen durch mich hindurch und werden zu poetischen Bildern. Ein Track von "Life In Russhausen" ist im Auftrag des OMON-Kämpfers (Polizist in Russland), der die Demonstration der Demonstranten auflöst. Für mich ist es das typische Image eines 'Regime-Wächters'. Ich frage mich, wie die Umstände zu menschlicher Aggression führen können. Von diesem Punkt an ist "Russhausen" ein Gebiet von Gewalt, Kontrolle und Depression. Dieser Bereich wird von uns allen generiert und verbreitet sich wie ein Virus. In "Something Without Name" verweise ich auf Anomalien und den 'Tod der Realität' und verwende meine eigenen Texte und auch die von Jean Baudrillard. Ich bezeichne DOR als "militantes Psychodrama", mit den Worten von Egor Letov (russischer Dichter und Musiker) - ich singe aus dem Zustand eines Kindes, 'welches sich in einem Zustand befindet, in dem es ein Maschinengewehr nehmen muss'.

blizzard: Entstehen die Songs spontan oder benötigen diese einen Prozess?

Vitaly: Direkte Energie, die aus spontaner Geste, Geräuschimprovisation, 'Gedankenfluss' und gesprochenem Wort besteht, liegt mir während der Arbeit nahe. Ich neige auch dazu, lange über den Inhalt und die Struktur von Kompositionen nachzudenken. Häufig benötige ich Texte, Charakterkonzeption und eine gewisse Vorstellung des Tracks. Die Texte können auch während des Erschaffungsprozesses geboren werden. Wenn man Synth spielt und lange nach Effekten sucht, dann findet man schließlich, wonach man sucht. Einer der ersten DOR-Tracks, "Isolation", mit seiner auf dem sowjetischen Synth Yunost-21 gemachten Melodie, erschien ziemlich spontan. Die Lyriks standen sofort, es war eine sofortige Freisetzung von Energie, und es stellte gerade meinen inneren Blick in diesem Moment dar. "New Poetry" und "Ho Has Humiliated You?" erschienen in ähnlicher Weise wie "Life In Russhausen". Das Aufnehmen von DOR-Musik ist für mich ein ganz besonderer Prozess. Ich kann an dieser Musik mit maximalem Ausdruck und in besonderen mentalen Zuständen arbeiten.

blizzard: Aspekte wie Aggression und Wut scheinen eine wichtige Komponente zu sein. Wie viel persönliches Gefühl fließt in DOR?

Vitaly: DOR-Musik basiert auf Aggression, weil ich mit Druck- und Unterdrückungseffekten arbeite und die Kraft extremer emotionaler Zustände benutze. Aggression liegt in der menschlichen Natur. Deshalb bezieht sich DOR oft auf Aggression, nicht so sehr auf die Welt, als auf die Aggression des Menschen auf sich selbst. In Wut sind die Menschen am ehrlichsten. Ich interessiere mich auch sehr für den Ausdruck von Ärger. Manchmal übe ich verschiedene Reize auf mich selbst aus, so dass die Stimme zum echten 'Ärger' wurde. Aber wenn ich spiele, appelliere ich zuerst an meine innere Welt und finde dort die notwendigen emotionalen Zustände. Trotz aller gesellschaftlichen Themen in DOR ist es für mich ein sehr persönliche Projekt.

blizzard: Warum ist DOR nicht auf einem großartigen Label wie Malignant Records? Ich denke du kannst mit deinem Projekt mehr erreichen!

Vitaly: Vielen Dank! Klar, ich kenne das Label und es wäre natürlich großartig für DOR. Die erste Veröffentlichung von DOR war auf dem spanischen Label R.O.N.F.Records, danach begann ich mit dem russischen Label UFA Muzak, das mir sehr nahe steht, zusammenzuarbeiten. Dank UFA erscheinen die Werke von DOR auch im Ausland. Ich bin offen für jede Zusammenarbeit und interessiere mich sehr für das weitere Bestehen meines Projekts.

blizzard: Was sind deine allgemeinen Erfahrungen mit DOR und was war für dich ein absolutes Highlight oder ein möglicher Tiefpunkt?

Vitaly: DOR-Musik für sich ist eine Art Machtentladung meines Lebens. Ich mag es, Klangräume zu schaffen, in denen der Wind heult und der Boden riecht. Ich spiele gerne live, mag den Energieaustausch mit dem Publikum und aktive Industrial Auftritte. Nach Konzerten fühle ich mich immer etwas unbeschreiblich, als wäre man völlig geläutert und wurde wiedergeboren. Eine der denkwürdigsten war eine Performance mit Bizarre Uproar und Pogrom in Sankt Petersburg im Jahr 2017. DOR ist mein einziges Projekt, aber ich investiere alles hinein. Ich denke, das Schlimmste ist für mich, eine Arbeit zu machen, die keine innere Verbindung hat.

blizzard: Welche Arbeit ist deine persönlichste und warum?

Vitaly: Es gibt viele davon, aber der Track "Cold Rain" kommt mir zuerst in den Sinn. Ich bin durch die Stadt gefahren. Es war Herbst und ich war deprimiert, und die Stimme in meinem Kopf begann diese Worte zu wiederholen. Ich stürzte mich in die Arbeit, und wahrscheinlich konnte mir das helfen, meinen Schmerz zu überstehen. In der Regel wurde das gesamte Album "Something Without Name" in dieser Atmosphäre aufgenommen, insbesondere "Fasting Days" und "United Russia". DOR ist anscheinend eine Art Selbsttherapie. Ich wusste nicht, wie ich diese dunklen Emotionen sonst überwinden könnte, außer durch Musik.

blizzard: Wie wichtig ist es dir, dass sich der Hörer mit der lyrischen Ausrichtung beschäftigt?

Vitaly: Das Verständnis der Texte hat eine große Rolle, die Bedeutung ist für mich sehr wichtig. Die Stimme in DOR ist jedoch ein volles Instrument, das sowohl auf das Bewusstsein des Hörers als auch auf das Unterbewusstsein gerichtet ist. Die ‚energetische Nachricht‘ von DOR wird also in jeder Sprache klar sein. Ursprünglich habe ich versucht, Englisch zu verwenden, aber ich zog weiter ins Russische. Ich habe verstanden, dass man in der Sprache singen muss, in der man denkt. Im Booklet der ersten EP habe ich versucht, die Texte auf Englisch zu übersetzen. Ich hoffe, dass es in Zukunft mehr Übersetzungen geben wird.

blizzard: Wie denkst du über die aktuelle Situation im Industrial Untergrund? Existiert eine richtige Szene in Russland?

Vitaly: In Russland gibt es viele interessante Industrial Künstler, darunter Alexey Borisov, Cisfinitum, Bunker, Ultrapoljarnoe Vtorzhenie, YAO 91404 D und andere. Es gibt nicht viele darauf spezialisierte Orte, aber es gibt schon ein paar. Zum Beispiel das Kulturzentrum "DOM" in Moskau oder GES-21 in Sankt Petersburg. Wenn wir jedoch von Power Electronics sprechen, gibt es in Russland nicht viele aktive und originelle Mitglieder.

blizzard: Alles Gute für dich und DOR. Die letzten Worte gehören dir.

Vitaly: Vielen Dank für die Fragen und das Interesse an meiner Tätigkeit! Alles Gute!

Artikelbild Copyright: DOR

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