ANDREAS JOHANSSON – Yakuza Tattoo

Ein schwedischer Doktor der Religionswissenschaften begibt sich für seine Studien, durch einen Besuch bei der japanischen Mafia, in der Tat in die Höhle des Löwen, doch durch sein ehrliches Auftreten, einfachen psychologischen Tricks und nicht zuletzt einem ranghohen Kontaktmann innerhalb der Yakuza, schafft es der trotz seines jungen Alters bereits sehr erfahrene Religionswissenschaftler tatsächlich interessante Einblicke in eine ganz eigene Welt zu erhaschen, in der außenstehende absolut nichts verloren haben. Was sich hier nach einer ziemlich fantastischen und unglaubwürdigen Geschichte anhört, ist in der Tat erst so geschehen, als sich der renommierte Wissenschaftler Andreas Johansson der Lund University seit 2014 in mehrfachen Treffen mit dem einmaligen Körperschmuck der Mitglieder der japanischen Mafia, den sog. Yakuza, auseinandersetzte. Die faszinierenden Ergebnisse hielt Johansson in Bild und Text fest, woraus das vorliegende Buch entstand, das wir uns heute zu Gemüte führen werden. Eine faszinierende Reise in die Welt japanischer Kultur und Kunst erwartet uns, deren man aufgrund der prekären Hintergründe einen ständigen Nervenkitzel nicht absprechen kann:

Inhalt

In seinem Werk “Yakuza Tattoo“ berichtet Andreas Johansson, PhD der Religionswissenschaften und Autor dieses Werkes, von seinen Begegnungen mit der japanischen Yakuza und der Geschichte, Bedeutung und dem Aussehen ihres einmaligen Körperschmucks, den beeindruckenden Tätowierungen, die großflächig die Körper der Mitglieder der japanischen Mafia zieren. Diese Tätowierungen werden genau genommen als Irezumi bezeichnet, was übersetzt so viel wie das “Einfügen von Tinte“ bedeutet und im Gegensatz zum Begriff “Tattoo“ auch einen wesentlichen spirituellen Aspekt mit in sich trägt (wobei ich jetzt den spirituellen Inhalt der Tätowierungen anderer Kulturen auf keinen Fall reduzieren oder gar absprechen möchte). Tatsächlich sind Tattoos/Irezumi in Japans Gesellschaft absolut verpönt und diese zu tragen stellt einen absoluten Tabubruch dar, so dass man mit einer Tätowierung in Japan z.B. auch kein Schwimmbad betreten darf. Die Yakuza tragen ihre einzigartigen Markenzeichen allerdings mit Stolz, schließlich weisen diese sie nicht nur als waschechte Yakuza aus, sondern erzählen auch eine ganz persönliche Geschichte.

Andreas Johansson machte sich im Zuge seiner Nachforschungen über die Bedeutung der japanischen Irezumi bei den Yakuza und den darin verwendeten religiösen/spirituellen, aber auch anderweitig kulturell und geschichtlich bedeutsamen Elementen ab 2014 in mehreren Besuchen nach Yokohama in Japan auf und gelangte dort dank eines ranghohen Kontaktmannes in direkten Kontakt mit der legendären japanischen Mafia. In den ersten beiden Kapiteln schildert Johansson, wie es ihm gelungen ist, das Vertrauen der einzelnen Mitglieder zu gewinnen, wodurch sich diese ihm gegenüber öffneten und einen Einblick in ihre privaten Geschichten gewährten. Ich kann mich noch genau an eine Reportage der TV-Wissenssendung Galileo erinnern, in der ein Reporter ähnliches versucht hat und dabei gnadenlos auf die Schnauze gefallen ist. Der Reporter beging nämlich bei der Kontaktaufnahme einen radikalen Fehler, denn beim ersten Treffen, bei dem ihm Zugang zu einem Yakuza-Boss zu Interviewzwecken gewährt werden sollte, tauchte dieser ausgerechnet in T-Shirt und kurzer Hose, also legeren Klamotten, auf, was für den Anzug tragenden Yakuza einer großen Respektlosigkeit gleichkam. Zunächst wirkt dieses Verhalten des Japaners vielleicht etwas übertrieben, aber bei genauerer Betrachtung wird die Reaktion schnell nachvollziehbar, schließlich will der Reporter ja von ihnen etwas und die Yakuza gewähren ihm Zugang zu empfindlichen Informationen und das vollkommen freiwillig und ohne irgendeine Art von Entgegenkommen. Dass man dann auch noch herabgewürdigt wird, da sich das gegenüber nicht mal die kleine Mühe macht optisch einigermaßen ansprechend zu wirken, würde bei mir wohl zur absolut gleichen Reaktion, wie bei den Yakuza führen. Man konnte die Situation in diesem Videobeitrag zwar noch irgendwie geradebiegen, aber man sieht sehr deutlich, dass die Kontaktaufnahme zur Yakuza (und ganz bestimmt nicht nur hier, sich an bestimmt Etikette-Regeln zu halten täte vielen von uns gut und würde auch das gegenseitige Miteinander immer mal wieder vereinfachen) von gegenseitigem Respekt geprägt sein sollte.

Umso erfreulicher war es für mich in “Yakuza Tattoo“ nachzulesen, dass Andreas Johansson hier sofort ganz anders vorging und mit freundlichem, offenen und respektvollen Auftreten bei den Yakuza offene Türen einrennen konnte. Zwar gab es auch bei seinen Kontakten zu den Yakuza immer wieder schwierigere Situationen, was schlicht auch am Unwissen aufgrund unterschiedlicher Kulturen lag, Johansson wurden aber selbst grobe Fehler im gegenseitigen Umgang nachgesehen, da einfach der Gesamteindruck bei ihm stimmte. Ein weiteres Mittel, dass Andreas Johansson verwendete, und welches sich schon in anderen aufgrund politischer/gesellschaftlicher/religiöser Themen eher schwierigeren Situationen bewährt hat, war das permanente Tragen seiner Kamera. Was jetzt vielleicht total banal klingt, war aber wahrscheinlich viel essentieller als man erwarten würde, denn dadurch, dass der schwedische Religionswissenschaftler bei seinen Treffen mit den Yakuza stets auch seine Kamera in den Fokus der Begegnungen rückte, assoziierte dies bei seinen Kontakten, dass er eine Art “Job“ auszuführen hat und aus diesem Grund schnell akzeptiert wurde.

Neben den wirklich gut geschriebenen und eingängigen Textpassagen besteht “Yakuza Tattoo“ zu einem großen Teil auch aus Abbildungen von Andreas Johanssons Fotos, die dieser bei seinen Treffen mit den Yakuza der Matsada-gumi  (eine Gruppierung der Yakuza in Yokohama, welche mit der größten Yakuza-Vereinigung, der Yamaguchi-gumi, verbunden ist) aufgenommen hat. Diese zeigen eindrucksvolle Aufnahmen unterschiedlicher Irezumi, die optisch stark an die japanische Ukiyoe (japanische Kunstform zu der Gemälde und Farbholzschnitte zu zählen sind) erinnern, was auch daran liegt, dass beide Kunstformen im Edo-Zeitalter, im 18. Jahrhundert, entstanden sind und sich parallel weiterentwickelten. Neben den Irezumi zeigt Johansson in seinem Buch aber auch alltägliche Szenen aus dem Leben der Yakuza. Und natürlich dürfen auch die berüchtigten abgeschnittenen Fingerkuppen nicht fehlen, die im Zuge von Yubitsume, einem Bußritual der japanischen (Sub-)Kultur von einem Yakuza Mitglied bei sich selbst abgetrennt werden. So zeigt ein Yakuza seinem Boss beispielsweise, dass er einen begangenen Fehler wiedergutmachen möchte. 

Im dritten Kapitel von “Yakuza Tattoo“ geht es explizit um Irezumi und die Irezumi Master, die eine lange Tradition aufweisen und ähnlich, wie auch die Yakuza selbst, gildenartig bzw. familienähnlich strukturiert sind. Irezumi-Meister verwenden zur Erstellung der Irezumi nicht nur moderne Tattoomaschinen, sondern auch verschiedene traditionelle Auftragungsmethoden.

Die meist eher farblosen, schwarz-weißen Irezumi selbst sind voller Bedeutung und repräsentieren die Persönlichkeit des Trägers. Aus diesem Grund werden sie auch nicht leichtfertig in die Haut gestochen, sondern erst nach ausführlicher Beratung durch den Irezumi-Meister, was schon oftmals mehrere Termine in Anspruch nimmt, eingearbeitet. Das Auftragen eines Irezumi ist auch gleichbedeutend mit der Abkehr vom bisherigen Leben. Man beachte nur die damit einhergehende gesellschaftliche Ächtung. Aus diesem Grund folgt auch ein beliebtes Irezumi-Motiv dem neuen, gefahrvollen Lebenswandel der Yakuza: Die Kirschblüte. Die wunderschöne weiß-rosa Blüte wird mit prächtigem Blühen, das jedoch schnell wieder vergeht, assoziiert, also gewissermaßen einem Pendant zum eher westlichen „nicht auf Sparflamme laufen, sondern schnell und heftig ausbrennen“.

In Kapitel 4 beschäftigt sich Andreas Johansson mit den verschiedenen Einflüssen auf die Motive der japanischen Yakuza-Tattoos. Hier gilt es zu verstehen, dass sich die Yakuza selbst (und nicht nur sie, Yakuza gelten in der japanischen Gesellschaft teilweise als Helden und werden wie Popstars verehrt) als Erben von Samurai und Ninja sehen und dem Pfad des sog. Bushido (Ehre, Hilfe gegenüber Schwachen und Armen, Loyalität) folgen. Viele Yakuza betrachten ihr Vorgehen also nicht als Verbrechen, vielmehr sieht man sich selbst als eine Art moderner Robin Hood.

Helfe den Schwachen, wehre dich gegen die Obrigkeit – diese Einstellung erklärt sich auch dahingegen, dass viele Yakuza ursprünglich aus großer Armut stammen und Diskriminierung zu ihrem Alltag gehörte. Aus diesen Gründen wird das offene Herzeigen von Reichtum und Macht (in Form von teuren Autos, Anzügen, Uhren usw.) auch nicht als angeberisch oder schamlos empfunden, sondern dient als Signal, um anderen zu zeigen, dass jeder es zu was bringen kann, egal unter welchen Voraussetzungen man auch in die Welt geboren wird.

Ob die Yakuza allerdings wirklich auf die Kulturen der Samurai und/oder Ninja zurückzuführen sind, ist nach wie vor auf höchste ungesichert. Als garantierte Vorläufer der Yakuza gelten aber Straßenhändler und (illegale) Glücksspieler, weshalb auch Abbildungen aus dieser Richtung die Irezumi Motive bestimmen. Als weiterer großer Einfluss gilt der populäre chinesische Roman “Water Margin“ aus dem 14. Jahrhundert, in dem 108 Ausgestoßene wahre Heldentaten vollbringen, was uns wiederum zu dem bereits erwähnten Robin Hood mitsamt Konsorten führt.

Kapitel 5 ”The Dragon & The Carp” beschäftigt sich anschließend mit der mythologischen Bedeutung hinter den beliebten Irezumi Motiven des Drachen (eine Art Wassergottheit, der Drache wird in Japan mit Wasser und nicht, wie bei uns im Westen, mit Feuer assoziiert) und des Karpfens. Diese Motive spielen inhaltlich auch stark auf die Organisationsstruktur der Yakuza an, in der der Boss als eine Art Vaterfigur gesehen wird. Der Drache, der auch die Bedeutung “Anführer“ bzw. “den Willen zum Aufstreben und selbst Boss zu werden“ in sich trägt passt hier hervorragend ins Bild. Der Karpfen erklärt sich dann wiederum folgendermaßen, dass man in ihm eine Art Vorstufe des Drachen sieht, was für den Träger eines solchen Tier-Motivs bedeutet, dass auch dieser eines Tages aufsteigen und selbst zum Drachen werden möchte. Mir kommt es auch so vor, als würde ein Yakuza-Boss das Tragen eines solchen Motivs bei seinen Untergebenen nicht als Bedrohung um seinen Platz ansehen, sondern ist vielmehr ein stolzer “Vater“, der den Enthusiasmus seiner “Kinder“ schätzt.

Neben diesen mythologischen Tiermotiven beschreibt Andreas Johansson in diesem Kapitel auch die Verwendung verschiedener Clanmotive als Tattoos (z.B. die Symbolik der Yamaguchi-gumi: die Begriffe „yama“ und „guchi“, die in Diamantenform dargestellt werden), die wie eine Art Gang-Tattoo mitsamt Rangabzeichen verstanden werden können.

Der Abschnitt “Gods And Spirits“ beschreibt im Anschluss die Verwendung buddhistischer Motive als Irezumi, wie z.B. den Gott Fudo Myoo (Acala) den Beschützer des Buddhismus und weisen König. Viele Motive stellen auch Götter, die vor Armut schützen (man bedenke nur die meist schwere Vergangenheit der Yakuza Mitglieder) und dem Träger Glück und Schutz gewähren sollen. Interessant ist, dass dieses Kapitel sehr kurz ausgefallen ist, wobei Andreas Johansson als Religionswissenschaftler hier ursprünglich ja vielleicht hoffte viel mehr herauszufinden.

Weniger spirituell widmet sich das nächste Kapitel “Modern Tattoos“ dann dem klassischen Tattoo, das in Japan und insbesondere in Yakuza-Kreisen in erster Linie modischer Natur ist. Zwar drückt man auch hier oft eine bestimmte Botschaft bzw. persönliche Bedeutung aus, eine tiefere Spiritualität, wie im Irezumi ist hier aber nicht vorhanden. Modische Tattoos und westliche Stile finden mehr und mehr Anklang in Japan, ganz langsam öffnet man sich auch in diesem Bereich.

Den Abschluss von “Yakuza Tattoo“ bildet der Abschnitt “Second Family And Women“ in dem Johansson auf die Tattoo-Motive eingeht, die mit dem Partner (es gibt keine weiblichen Yakuza) bzw. der eigenen Familie zu tun haben. Da bei den Yakuza der Boss immer an erster Stelle steht und man die eigene Familie hinter die Yakuza-Familie stellt (bei den Yakuza ist es zudem untypisch, dass Blutsverwandte in die Mafia folgen, hier gilt die als Oyabun-Kobun Nachfolge bekannte Tradition, in der eine Art von Vater-Sohn Beziehungsstruktur nicht verwandter Mitglieder herrscht), ehren viele Yakuza-Mitglieder ihre Liebsten zumindest in dieser Form und tragen sie somit ständig bei sich.

Fotos

Neben den wirklich guten und verständlich formulierten Textpassagen machen Andreas Johanssons Fotos etwa die Hälfte des Umfangs von “Yakuza Tattoo“ aus. Die absolut gelungenen Fotos fangen die Irezumi der Yakuza sehr gut ein, andere zeigen die japanischen Mafiosi direkt (z.B. beim Kartenspielen) aus dem Leben. Die Bilder werden mal auf einer gesamten Seite, teils auch kleinformatig mit mehreren Bildern auf einer Seite präsentiert. Außergewöhnlich ist an den Fotos, dass man als Betrachter hier wirklich sehr deutlich merkt, wie sehr die einzelnen Yakuza dem Autor vertraut haben und sich ihm gegenüber geöffnet haben müssen, um überhaupt solche persönlichen Aufnahmen zu gestatten.

Veröffentlichung

“Yakuza Tattoo“ erscheint beim schwedischen Verlag Dokument Press als Softcover Buch (Format: Höhe: ca. 21,2 cm; Breite: 17,0 cm). Die 112 Seiten des Werkes eine gute Druck- und Papierqualität auf. Das Buch ist auf Englisch.

Bei dieser Veröffentlichung handelt es sich um eine Neuauflage des bereits 2017 erschienenen Buches, das damals als Hardcover in größerem Format erschien.

Fazit

“Yakuza Tattoo“ bietet dem Leser einen hervorragenden Einblick in die Welt der Yakuza, der berühmte-berüchtigten japanischen Mafia und das nicht nur anhand der fundierten religiös-kulturellen Betrachtung der Tätowierungen diverser Mitglieder, sondern auch dank der hervorragenden Kontaktaufnahme des Autors, der sich voller Respekt in dieser fremden und faszinierenden Welt bewegen konnte.

Aber auch wenn der Umfang meines Reviews hier täuschen mag, handelt es sich bei Andreas Johanssons “Yakuza Tattoo“ eher um einen Einstieg in die Materie, mein Interesse, dass durch meine Affinität gegenüber der japanischen Kultur und dort vor allem durch Videospiele, wie SEGA`s “Yakuza“-Reihe (Im japanischen Original: “Ryu Ga Gotoku“) geweckt wurde, ist dank “Yakuza Tattoo“ aber nun richtig geweckt worden. Wer tiefer in die geheimnisumwobenen Welten der Yakuza und ihrer Irezumi einsteigen will, dem empfehle ich weiterführende Literatur, von der wir bei Gelegenheit, in Zukunft, auch das ein andere andere Werk bei uns vorstellen werden.

Und nun gibt`s für weitere Eindrücke (vor allem was die tollen Fotos angeht!) noch den Buch-Trailer:

Yakuza Tattoo (sc)

Verlag/ Label: Dokument Press
Autor: Andreas Johansson
Veröffentlichung: 21.03.2019 (Paperback Edition 1. Auflage)
Seitenzahl: 112
ISBN: 978-9188369215
Altersfreigabe: unbekannt
Webseite: https://shop.dokument.org/other-stuff/the-rest/9789188369215/
Webseite 2: Amazon
Webseite 3: https://andreasljoh.com
Copyright Artikelbild: Dokument Press; Andreas Johansson

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